Drei Mickymäuse schlagen Samurai

Favoritin Midori Ito widmete sich bei der WM ganz der Bande und überließ die Medaillen den US-Girls  ■ Aus München Michaela Schießl

Kennen Sie das? Sie als Skifahrer ganz allein auf der Piste. In deren Mitte einsam ein Baum. Seien Sie sicher: Sie treffen ihn, und zwar mit Karacho. Murphys Gesetz: Was immer schiefgehen kann, geht schief. Doch wenn Sie's wirklich noch nie erlebt haben, fragen sie Midori Ito. Die japanische Vizeweltmeisterin 1990 war die Top-Favoritin der Eiskunstläuferinnen. „So wie die Ito springt keine“, bewunderte Europameisterin Surya Bonaly (Frankreich) ihre Konkurrentin beim Training.

So konnte sich das 1,45 Meter kleine und 45 Kilo schwere Sprungwunder aus Japan nur noch selber schlagen. Das tat sie souverän. Schon beim Einlaufen stieß sie heftig mit einer französischen Läuferin zusammen, blieb minutenlang auf dem Eis liegen und weinte ihren Schmerz heraus. Das Unglück nahm seinen Lauf. Gleich zu Beginn ihres Originalprogramms setzte sie eine Sprungkombination zu weit außen an, stand den ersten Sprung, stürzte beim zweiten und war plötzlich verschwunden. Denn ausgerechnet dort fehlten zwei Meter Bande wegen einer dort postierten Fernsehkamera. Murphy läßt grüßen.

Schon wenige Sekunden später tauchte Ito samuraiartig wieder auf und kämpfte ihr Programm fehlerfrei zu Ende. Die Richter schienen irritiert. „Was sollten sie auch machen? So etwas ist noch nie vorgekommen“, zeigte die Deutsche Patricia Neske Verständnis. Doch die meisten Konkurrentinnen waren sauer, denn die Noten für Ito lagen trotz des Verlassens der Arena über vielen fehlerfreien Übungen. Schon wurde von Absprache gemunkelt. Doch Dr. Josef Dedic, der Vizepräsident des Weltverbandes, wiegelte ab: „0,3 Punkte Abzug sind laut Reglement korrekt.“ Und zudem wies er beflissentlich jede Schuld vom Veranstalter: Durch das Loch zu fallen, sei Itos Fehler. Sie brauche zu lange zum Anlauf. Die US-Amerikanerin Kristi Yamagushi riet: „Ito soll doch in der Eismitte abspringen.“

Itos Kommentar beschränkte sich darauf, sich selber einen Vogel zu zeigen. Doch auch diese Selbsterkenntnis änderte nichts an ihrem innigen Verhältnis zur Bande. Denn tags drauf in der Kür sprang sie wiederum zwanghaft dicht vor der Begrenzung ab, überdrehte den Toe- loop und segelte haarscharf am Rand längs. Sekunden später lag sie auf den Boden. Aus für Ito, aus der Titeltraum, Murphy hat gesiegt.

Doch auch Surya Bonaly, der kräftigen Französin mit dem eckigen Laufstil, war das Glück nicht hold. Vor lauter Freude über einen prächtigen Dreifachsprung verkantete sie den Schlittschuh und schlug aufs Eis. Aus dem Takt geraten, sprang sie zwar noch einige Schwierigkeiten, doch die Haltung war dahin. Nur Platz fünf hinter Midori Ito.

So hatten die US-Amerikanerinnen freie Bahn. Ihre Meisterin Tonya Harding berauschte das Publikum mit einer musikalisch wie choreographisch ungewöhnlich abwechslungsreichen Kür. Beeindruckend ihr künstlerischer Ausdruck. Nur eine B-Note war noch besser: Die ihrer Landsfrau Kristi Yamagushi, die wie ein pink panther temperamentvoll und jugendlich übers Eis fegte. Die Kalifornierin mit dem bauschigen Pferdeschwanz gewann um Haaresbreite vor Tonya Harding. Dritte im US-Bunde wurde die Frau mit der weiblichsten Ausstrahlung: Nancy Kerrigan.

Weniger glorreich endeten die deutschen Frauen. Marina Kielmann zeigte sich mit zwei Stürzen bodenständig. „Das kann passieren, da war nicht mehr drin“, trug sie Platz acht mit Fassung. Für unereichbar hält sie die US-Läuferinnen jedoch nicht: „Vier Dreifachsprünge kann ich auch.“ Patricia Neske war zufrieden mit ihrer Kür: Platz neun. Den 13. Rang erheischte die Jutta-Müller- Schülerin Simone Lang. Sie war irritiert über die Entwicklung im Frauen-Eislauf: „Kati Witt hätte keine Chance mehr. Es gibt nur noch eins: Springen, springen, springen.“