KOMMENTAR
: Kein normaler Fünfer

■ Zur Überprüfung von Ostberliner Lehrern

Die Ostberliner Lehrer stehen auf dem Prüfstand. Durchzufallen bedeutet für sie keinen Fünfer mit Wiederholungsprüfung, sondern das Aus im Beruf. Dies wiegt um so schwerer, weil bei ihrer Überprüfung mit einem Schema vorgegangen wird, das eher einem Kahlschlag gleichkommt denn sensiblen Entscheidungen für oder gegen die Weiterbeschäftigung. So sollen all jene entlassen werden, die mit parteilichen und staatlichen Funktionen der ehemaligen DDR-Gesellschaft in Verbindung standen. Abgesehen vom allgemeinen Konsens darüber, daß ehemalige Stasi-Mitarbeiter ihren Dienst zu quittieren haben, kann dieses Schema bei Parteifunktionären, Leitungsmitgliedern oder Parteischulabsolventen nicht funktionieren. Die Beantwortung der entsprechenden Fragen im Personalbogen mit Ja sagt nichts über die Tätigkeit oder die Haltung des einzelnen in dieser oder jener Funktion aus. Vor allem deshalb nicht, weil die Besetzung dieser Posten in jeder Institution der Ex-DDR mit einem gewissen Automatismus erfolgte, dem nicht immer eine staatstragende Haltung zugrunde lag. Eher hielt man sich mit dem Besetzen und Abrechnen dieser Funktionen oft unliebsames Hineinreden höherer Stellen in die Schule vom Leib. Auch der Besuch einer Parteischule, zu dem sich die wenigsten freiwillig meldeten, war oft eine formelle Angelegenheit. Über die pädagogischen Fähigkeiten der Lehrer sagt die Beantwortung der Fragebögen schon gar nichts aus. Trotz aller Kritik an der Überprüfung muß herausgefunden werden, welche Lehrer und Funktionäre sich repressiver Verfehlungen schuldig gemacht haben. Denn diejenigen können auch nicht vor ihren Schülern bestehen. Anja Baum