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Zeugnisverweigerungsrecht für mißbrauchte Kinder

Karlsruhe (afp) — In Fällen von Kindesmißbrauch muß der Richter sich selbst ein Bild vom Opfer machen und darf sich nicht allein auf Sachverständigengutachten verlassen. Außerdem müssen auch Kinder über ihr Zeugnisverweigerungsrecht informiert werden. Das hat der Bundesgerichtshof in einem am Montag veröffentlichten Urteil entschieden (AZ: 1 StR 624/90).

Das Urteil erging im Fall eines Vaters, der wegen fünfzehnfachen sexuellen Mißbrauchs seiner dreijährigen Tochter verurteilt worden war. Die Richter stützten sich dabei maßgeblich auf die Angaben einer Sachverständigen, denen zufolge das Kind aufgrund eines Reiferückstandes nicht in der Lage war, über das Geschehene zu sprechen. Allenfalls, so die Gutachterin, hätte das Kind die entsprechenden Szenen vor Gericht vorspielen können. Die Jugendkammer des Landgerichts Ansbach verzichtete aus diesem Grund in der Hauptverhandlung auf die persönliche Anhörung des Kindes.

Die Karlsruher Richter hoben dieses Urteil jetzt mit der Begründung auf, das Kind sei vom Tatrichter nicht über sein Zeugnisverweigerungsrecht belehrt worden. Es genüge nicht, wenn nur das als Pfleger bestellte Stadtjugendamt belehrt werde. Nach der Karlsruher Entscheidung müssen auch solche Personen über ihr Zeugnisverweigerungsrecht belehrt werden, die sich keine genügende Vorstellung über dessen Bedeutung machen können. Ihre Entscheidung sei selbst dann hinzunehmen, wenn diese „rational nicht nachvollziehbar sei und möglicherweise den staatlichen Strafanspruch beeinträchtige“. Nur wenn die richterliche Belehrung das Bewußtsein eines Zeugen nicht erreiche, müsse der gesetzliche Vertreter — in diesem Fall das Jugendamt — entscheiden, ob dieser Zeuge aussagen darf.

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