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Obst schmettert Fleisch

■ Im Spitzenspiel der Tischtennis-Bundesliga der Frauen gewann Dülmen gegen Steinhagen überlegen 8:4

Dülmen (taz) — Am Anfang ging's um die Wurst, doch am Ende schlug die Banane Purzelbäume. Extra für die Begrüßung und den Blick in die Kameras des WDR hatten sich die Tischtennisspielerinnen des amtierenden Meisters SV Steinhagen Stirnbänder mit dem Namen eines ihrer Sponsoren, einer westfälischen Wurstfabrik, umgehängt. Gastgeber TSG Dülmen setzte in diesem Duell der beiden Titelanwärter die Banane dagegen, in überdimensionaler Plastikform und beklebt mit dem bekannten Aufkleber eines amerikanischen Früchtekonzerns. Das Duell Fleisch kontra Obst entschied die Vitamin-Fraktion mit 8:4 klarer als erwartet für sich, hielt dadurch die noch zwei Spieltage andauernde Meisterschaftsrunde weiter offen und veranlaßte die TSG-Fans zu einer leidenschaftlichen Schlußfeier mit Anleihen in der weniger bekannten Sportart „Bananen-Hochwurf“.

In der 15jährigen Geschichte der Damen-Bundesliga kamen noch nie so viele Zuschauer zu einem Match wie am Sonntag in die 40.000-Einwohner Stadt Dülmen im westlichen Münsterland. So um die 1.000 räumten dann auch sehr schnell mit dem Vorurteil auf, der Münsterländer an sich sei dröge und maulfaul. Viele Augen und besonders die Fernsehkameras richteten sich allerdings auf eine Spielerin, die gar nicht an der Platte stand. Nicole Struse, mehrfache deutsche Meisterin und Europaliga-Gewinnerin gegen Schweden, darf auf Geheiß des in Steinhagen allmächtigen Managers Rüdiger Lamm derzeit nicht für den Klub spielen. Der 19jährigen, die nicht gerade als pflegeleicht gilt, wird vorgeworfen, bei der jüngsten Europacup-Schlappe Steinhagens in Budapest „Arbeitsverweigerung“ betrieben und durch drei Niederlagen das Pokal-Aus herbeigeführt zu haben.

Was vom Klub als erzieherische Maßnahme für die „Nullbock- Stimmung“ des Jungstars gedacht war, kann das Team aus dem Bielefelder Vorort die Meisterschaft kosten. Denn mit Nicole Struse hätte Steinhagen kaum mit 4:8 verloren. In Dülmen durfte Frau Struse nicht einmal auf der Steinhagener Bank Platz nehmen. Keiner sollte die unbelehrbare Göre mit dem heilen Klub in Zusammenhang bringen. Und weil das Tuch zwischen Struse und Steinhagen so gut wie zerschnitten ist, bemühen sich derzeit die Anwälte beider Seiten um eine vorzeitige Auflösung des Vertrages und um den Transfer zu einem anderen finanzstarken Klub. Dieser könnte durchaus TSG Dülmen heißen, wenn man sich dort von der nicht minder exzentrischen Olga Nemes trennen sollte.

So erlebte Nicole Struse von der Tribüne aus, wie ihre Mannschaftskameradinnen im Dülmener Hexenkessel mehr schlecht als recht die Zelluloidkugel über die Platte schoben. Besonders Olga Nemes war gut drauf, was viele Experten überraschte, nachdem das einstige Hätschelkind des Tischtennis-Verbandes im Europaliga-Finale ihren Platz an eben jene Nicole Struse abgeben mußte und sich anschließend in den Schmollwinkel zurückzog. Doch am Sonntag hatte die 22jährige ihn wieder verlassen und legte mit drei klaren Siegen, darunter einem nie erwarteten gegen die chinesische Ex-Weltmeisterin Lijuan Geng, den Grundstein zum Erfolg des TSG Dülmen.

Ob mit oder ohne Struse, noch trägt die profesioneller geführte Sportvereinigung die Favoritenbürde. Aber auch bei der TSG Dülmen, die vor zwei Jahren mit „Eigengewächsen“ den Sprung in die erste Liga schaffte, hat man gelernt. Und wenn die in der Gerüchteküche gehandelten Verstärkungen wirklich nach Dülmen kommen, wäre für Birgit Schmude als letzte einheimische Spielerin im Team kein Platz mehr. Aber ob die Fans den Ausschluß ihres Lieblings so einfach hinnehmen werden, darf bezweifelt werden.

Dann könnte es durchaus sein, daß statt Plastik-Chiquitas auch mal was anderes durch die Dülmener Halle fliegt. Jochen Reinhardt

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