Chips mit Grips

■ Wenn sich natürliche und künstliche Intelligenz paaren, ist der Blutsauger mit von der Partie

Natürlich sind Wissenschaftler feinfühlige Wesen. Mit ihren meist schlanken Fingern tasten sie sich in mikroskopische Bereiche vor, zerschneiden Chromosomenstränge und isolieren Wasserstoffatome. Irgendwann, das steht fest, wird die Natur möglicherweise rebellieren. Vielleicht ist es bald soweit, denn nun sind sogar Silizium-Plättchen von den Forschern genervt.

US-amerikanischen Wissenschaftlern aus dem kalifornischen Stanford ist es nämlich gelungen, Nervenfasern durch Löcher in einen Computerchip wachsen zu lassen. Wenn diese Nerven nun aus dem Stumpf einer abgerissenen oder amputierten Hand stammen und die Platine auf einer Prothese montiert ist, soll es mit dieser nahtlosen Mensch-Maschine- Schnittstelle möglich werden, sich wieder gefühlvoll in der Nase zu bohren. Einziger Nachteil: Dem so Verbundenen würde es voraussichtlich schwerfallen, sich von seiner Maschinen-Hand je wieder zu trennen. Denn das kostet Nerven.

Eine nervige Geschichte wurde auch aus der Universität Ulm gemeldet. Dort haben Biophysiker unter Leitung von Peter Fromherz sogar Hirn auf die Chips geträufelt. Natürlich nicht ihr eigenes — das brauchen sie schließlich zum Forschen. Nein, die Denkmasse stammt — man glaubt es kaum — von einem possierlichen Tierchen, das sich beim Baden im See von selbst an unsere Fersen heftet, oder das — zwecks Aderlaß — von Ärzten und anderen Medizinmännern angesetzt wird. Und nun soll das Hirn dieser Blutegel die Verbindung zwischen natürlicher und künstlicher Intelligenz bilden. Wie das?

Die in einer Nährlösung vermehrten Hirnnerven (Ach, wäre das immer so einfach!) sollen sich geradlinig über den Chip vortasten. Damit das Hirngespinst nicht wild herumwuchert, muß alles nach einem Plan ablaufen, einem Plan der fotochemisch auf eine dünne Eiweißschicht (Laminin) übertragen wird, ähnlich wie ein Schaltplan. An bestimmten Kontaktstellen könnten das neuronale und das elektronische Netz dann untereinander Infos austauschen.

Aber was passiert, wenn das Hirn des parasitären Blutsaugers aus der Rolle tanzt und sich seine eigenen Gedanken macht, statt das zu denken, was die Wissenschaftler wollen? Wenn es sozusagen die Nerven verliert? Schließlich sind Nerven doch die Datenträger des Schmerzes. Was also passiert, wenn das Hirn diese Pein nicht aushält und einfach mit dem Denken aufhört? Darüber haben sich offenbar die Wissenschaftler noch nicht den Kopf zerbrochen. Wahrscheinlich halten sie Blutegel einfach für zu dämlich, als das sie dem Menschen gefährlich werden könnten.

Bis die „Chips mit Grips“ in Serie gehen, werden noch viele Nerven und noch viel Hirn nötig sein — Forscher- und Blutegelhirn. Uwe Hellner