Jugoslawiens Armee meldet sich zurück

■ Die Generäle wollen in Kroatien und Slowenien durchgreifen, sich aber aus der Politik heraushalten/ Spekulationen über Divergenzen in der Armeespitze/ 40 Intellektuelle fordern Rücktritt von Milosević

Belgrad/Berlin (taz/afp/dpa/ap) Nachdem das Staatspräsidium Jugoslawiens aufgrund des serbischen Boykotts beschlußunfähig geworden ist, hat sich am Dienstag nach tagelangen Beratungen die Armeespitze des Landes zu Wort gemeldet. In einer Erklärung stellte der Generalstab klar, die Armee werde eine Abspaltung Sloweniens oder Kroatiens nicht hinnehmen. Zudem kündigte er ein hartes Durchgreifen in diesen beiden Republiken an, versicherte aber andererseits, daß sich die Armee nicht in die Politik einmischen werde. Die Generäle gaben bekannt, daß sie die Überstellung der Wehrpflichtigen an die Streitkräfte sicherstellen würden. In Slowenien rekrutiert die Regierung die Wehrpflichtigen nur noch für die eigene Polizei und Bürgerwehr. Zudem will die Armee die Territorialverteidigung wieder nach Bundesgesetzen regeln. Damit sind Konflikte mit Slowenien und Kroatien programmiert, die die Bürgerwehren als Verteidigungsmittel gegen die Armee in eigener Regie übernommen haben.

Die kroatische Tageszeitung 'Vjesnik‘ berichtet von Auseinandersetzungen in der Spitze der von serbischen Offizieren dominierten Armee. Während Bundesverteidigungsminister Veljko Kadijević eine moderate Linie vertrete und die Armee neben den Republiken als selbständigen Partner an Verhandlungen über die Zukunft Jugoslawiens beteiligen wolle, stehe der Generalstabschef Blagoje Adžić für eine harte Linie, die einen klassischen Putsch und die Auflösung aller Verfassungsorgane befürworte. Nach Angaben des Verteidigungsministers Sloweniens, Janez Jansa, haben Militärpolizisten jüngst bereits einige Offiziere serbischer Nationalität verhaftet.

Am Montag hatte das Parlament Serbiens den Vertreter Kosovos aus dem Staatspräsidium, dem kollektiven Staatsoberhaupt Jugoslawiens, abberufen. Vorher hatten bereits Serbien, Montenegro und die Wojwodina ihre Vertreter zurückgezogen. Damit ist das Staatspräsidium, in das die sechs Republiken Serbien, Kroatien, Slowenien, Bosnien-Herzegowina, Montenegro und Makedonien sowie die zwei zu Serbien gehörenden „autonomen“ Provinzen Wojwodina und Kosovo je einen Vertreter entsenden, halbiert und formell beschlußunfähig. Mit seiner Boykottstrategie hat sich Serbien offen über die Verfassung von 1974 hinweggesetzt. Danach wird der Vertreter Kosovos im Staatspräsidium nicht vom serbischen Parlament bestimmt, sondern vom Parlament Kosovos und kann infolgedessen auch nur von diesem wieder abberufen werden. Nun wurde zwar der Kosovo-Albaner Riza Saphunxia, der das Staatspräsidium am Montag verlassen mußte, vom Parlament Kosovos gewählt. Dieses aber hat Serbien 1988 auf verfassungswidrigem Weg einfach aufgelöst. Seither ist die Autonomie der zu 90 Prozent von Albanern bewohnten Provinz Kosovo faktisch aufgehoben. Das Parlament der autonomen Provinz Wojwodina, die zu 22 Prozent von Ungarn besiedelt wird, hatte sich kurz zuvor auf serbischen Druck hin selbst aufgelöst.

Beim Votum im serbischen Parlament fand die Sozialistische Partei von Präsident Milosević, der vor drei Jahren die Gleichschaltung des Kosovo durchgesetzt hat, am Montag die Zustimmung der größten Oppositionspartei, der „Serbischen Erneuerungsbewegung“ von Vuc Drasković, erhalten, die eine Woche zuvor noch ihre Basis zu großen Demonstrationen gegen die Regierung mobilisiert hatte. Am Dienstag nun forderte die „Serbische Erneuerungsbewegung“ das Verbot der Sozialistischen Partei, weil sie — so die offizielle Begründung — „Intoleranz zwischen den Bürgern Serbiens und denen anderer jugoslawischer Republiken“ säe. 40 serbische Intellektuelle, unter ihnen namhafte Wissenschaftler und Künstler, haben am Montag in einer öffentlichen Erklärung den Rücktritt von Milosević gefordert. Im Aufruf, der bei einer Protestversammlung von Journalisten der größten Belgrader Tageszeitung 'Politika‘, die gegen Verleger und Redaktionsleitung gerichtet war, verlesen wurde, heißt es, der serbische Präsident habe sich für eine „Politik des Krieges ausgesprochen, um seine eigene Regierung zu retten“.

Angesichts der schwersten Staats- und Verfassungskrise seit Kriegsende haben nun Kroatien und Slowenien gestern die Präsidenten aller jugoslawischen Republiken nach Zagreb, der Hauptstadt Kroatiens, zu einer Krisensitzung eingeladen. Diese soll am Donnerstag stattfinden, am Tag also, für den das nunmehr handlungsunfähige Staatspräsidium ebenfalls alle Präsidenten nach Belgrad eingeladen hatte. In Zagreb sollen auch der jugoslawische Regierungschef Ante Marković wie der Präsident des Bundesparlaments, Slobodan Gligorijević am Verhandlungstisch sitzen. thos