Atom-Institut nimmt Öko-Lätzchen

Rechtsgültige Genehmigung für den 1956 in Betrieb genommenen Rossendorfer Forschungsreaktor hat nicht vorgelegen/ Bürgerinitiative fordert öffentliches Genehmigungsverfahren/ Gewährleistung der Strahlensicherheit fragwürdig  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Seit im November vorigen Jahres etliche Kugellagerteile in die Spaltzone des Rossendorfer Kernreaktors gefallen sind, steht diese Anlage im Zentralinstitut für Kernforschung, 14 Kilometer von Dresden entfernt, angeblich still.

Doch erst jetzt fand der örtliche Arbeitskreis gegen Atomanlagen, Mitglied der Grünen Liga, aus Genehmigungsunterlagen für den Reaktor sowjetischer Bauart heraus, daß eine rechtsgültige Genehmigung gar nicht vorgelegen hat. Nun fordert die Bürgerinitiative, die sich den Einblick in die Unterlagen des 1956 in Betrieb genommenen Instituts mit mehreren öffentlichen Aktionen (vgl. taz vom 26.9.90) erzwungen hatte, ein öffentliches Genehmigungsverfahren für die kerntechnischen Anlagen. Briefe an Bundesumweltminister Töpfer und Staatsminister Weise warten noch auf Antwort.

Bereits im September 1981 hat das Staatliche Amt für Atomsicherheit und Strahlenschutz (SAAS) der DDR die in den 50er Jahren erteilte, unbefristete Dauerbetriebsgenehmigung für den Forschungsreaktor entzogen und den weiteren Betrieb bis 31.12.86 befristet. Der Sprecher des Arbeitskreises gegen Atomanlagen, Achim Weber, beruft sich auf die Unterlagen des Instituts, aus denen hervorgehe, daß diese neue Genehmigung mehrfach unter Auflagen verlängert worden war, das letzte grüne Licht aus der SAAS datiert vom 20.2.90. Danach hatte der Forschungsreaktor „Bestandsschutz“ bis 31. August letzten Jahres. Diese Frist galt wenig, am 8. Oktober immerhin schob die Gemeinnützige Einrichtung der Länder, Nachfolgerin der SAAS, eine erneute Verlängerung der Betriebserlaubnis nach, diesmal bis 30. Juni dieses Jahres. „Rechtswidrig“, meint der grüne Arbeitskreis und zitiert leitende Mitarbeiter des Rossendorfer Instituts, nach deren Aussagen etwa 30 Forderungen der SAAS in wesentlichen Punkten nicht erfüllt worden seien. Dazu gehört die Aktualisierung der für den Strahlenschutz relevanten Betreiberdokumente.

„Die Gewährleistung des Strahlenschutzes für die Gesamtanlage des Zentralinstituts erscheint fragwürdig“, schließt der Arbeitskreis aus dem Studium der Rossendorfer Dokumente. Unterdessen warten die mehr als 1.000 Rossendorfer Mitarbeiter auf das Ergebnis der Evaluierung ihres Instituts. Ihrer alten Leitung haben sie längst den Stuhl vor den streng bewachten Schlagbaum gesetzt, und am 1. April wird, vom sächsischen Wissenschaftsminister Meyer berufen, das langjährige Vorstandsmitglied des nordrhein-westfälischen Forschungszentrums Jülich, Wolf Häfele, als Chef in Rossendorf einziehen. Häfele, der einst im Karlsruher Kernforschungszentrum das Projekt „Schneller Brüter“ geleitet hat, dürfte für ein durch Kernforschung dominiertes Konzept des Institutes stehen. Es drängt sich der Gedanke auf, daß Rossendorf bereits seine Aufträge für die von Möllemann gedeckte Ostexpansion der westdeutschen Atomindustrie in der Tasche hat und sich an den neuen Atomstromern in Greifswald und Stendal gesundstoßen will. ZfK- Sprecher Jürgen Fietz begründete kürzlich auch neue Chancen auf dem osteuropäischen Markt, wo noch 40 Reaktoren vom Typ WWR 440 in Betrieb sind. Für diesen Reaktor hatte Rossendorf Sicherheitsforschungen betrieben. „Fachleute der alten Bundesländer unterstützen uns bei dem Vorgehen, die Sicherheit dieser Reaktoren mit unseren Erfahrungen zu verbessern.“

Wenn Peter Liewers, der bisherige Stellvertreter, von Ökoforschung in Rossendorf spricht, befürchten die Ökologen einen „Etikettenschwindel“. Hinter der angekündigten Deponieforschung könnte sich, so vermutet der Arbeitskreis, etwa die Landessammelstelle für radioaktive Abfälle verbergen. Immerhin hat das Institut 20jährige Erfahrungen mit der „Zwischenlagerung“ und Aufbereitung seiner radioaktiven Brennstäbe. 30 Mitarbeiter des Instituts seien heute mit Ökologie befaßt, erklärte Professor Liewers. Neben dieser Linie sollen die „alte Tradition“ der Materialforschung mit Kernstrahlungsmethoden und die Forschung über Radiopharmaka weitergeführt werden. Isotopen für die Medizin produziert Rossendorf seit kurzem nicht mehr.

Bereits im Oktober hatte der engagierte Dresdner Arbeitskreis gegen Atomanlagen mit einem offenen Brief an das Institut ein mögliches, neues Konzept für Rossendorf skizziert. Unbedingt solle dort weitergeforscht werden, ein neues Profil sei aus den wirtschaftlichen und ökologischen Aufgaben des Landes Sachsen abzuleiten. Dazu gehören Technologie-Folgeabschätzung, Sicherheitsforschung, Umweltverträglichkeitsstudien, Forschung über geschlossene Stoffkreisläufe. Ein weites Arbeitsfeld wäre die energetische Grundlagenforschung als Alternative zu anachronistischen Atomenergiekonzepten. Während die Institutsleitung zu beschwichtigen sucht und die „diffuse Angst“ der Umweltschützer abwinkt, halten mehrere Zwischenfälle im Institut die Sorge der Dresdner wach. Am 24. Januar zersplitterte eine Ampulle mit Jod-131, als ein Mitarbeiter sie für die Produktion von Radiopharmaka aus der Arbeitsbox herausschleusen wollte. Nach Mitteilungen des Instituts blies der Schornstein bis 31. Januar insgesamt 2,2 Gigabecquerel des Isotops Jod-131 in die Landschaft. Verschwiegen wurde dabei, daß diese innerhalb einer Woche abgegebene Dosis etwa 150mal höher ist als jene Dosis, die für den Forschungsreaktor Karlsruhe für ein Jahr zugelassen ist. Erst nach diesem Unfall merkten die Mitarbeiter, daß zudem ihr im Institut entwickeltes Meßgerät defekt war. Das gleiche System, im Dezember vom TÜV Bayern genehmigt, wird auch für die Überwachung des Versuchsreaktors eingesetzt. Das hinderte ZfK-Sprecher Fietz nicht daran zu versichern, die „gesundheitlichen Beeinträchtigungen für Anwohner und Mitarbeiter sind aber ausgeschlossen“.