Ost-Pauker auf dem Abstellgleis

■ Schulverwaltung will LehrerInnen mit Unterrichtsfach Staatsbürgerkunde oder ehemalige PionierleiterInnen entlassen/ Bündnis 90 spricht von bis zu 4.000 Betroffenen, Schulsenator von knapp 600/ Kontroverse zwischen Senat und Bildungsstadträten

Berlin. Die Entlassungswelle droht jetzt auch auf die LehrerInnen in Ost- Berlin zuzurollen. 3.000 bis 4.000 Lehrkräfte könnten bis zum Herbst auf der Straße sitzen, informierte die schulpolitische Sprecherin vom Bündnis 90, Sybille Volkholz. Auf einer Sitzung der Schul- und Bildungsstadträte der Ostberliner Bezirke am Dienstag habe der Staatssekretär aus der Schulverwaltung, Günther Bock, verkündet, daß man auf all jene LehrerInnnen verzichten solle, deren Unterrichtsfächer nicht in die Westberliner Stundentafel aufgenommen werden. In einer dem Vernehmen nach sehr kontroversen Debatte wurde ein Papier der Senatsschulverwaltung mit den Stadträten diskutiert.

In dem Papier wird davon ausgegangen, daß vor allem Staatsbürgerkundelehrer, Freundschaftspionierleiter, Lehrer für Technisches Zeichnen, den Schulgarten oder das Fach »Einführung in die sozialistische Produktionsarbeit« nicht mehr gebraucht werden. Auch jene Lehrer, die noch ein anderes, anerkanntes Zweitfach unterrichten, könnten von den Maßnahmen betroffen sein.

Einig sei man sich in der Sitzung nicht geworden, erklärte der Hellersdorfer Bildungsstadtrat Werner Riedel, der jedoch die Zahl von 3.000 bis 4.000 möglichen Entlassungen nicht bestätigen wollte. Unklar sei immer noch, welche Fachkombinationen anerkannt werden, wie viele Lehrer in der neuen Schulstruktur gebraucht werden und welche Rahmenstundentafel letztlich gültig ist. Auch Klaus Frommknecht, Bildungsstadtrat in Weißensee, wollte nicht von Kündigungen in diesen Ausmaßen sprechen, die Entscheidung darüber sei auf kommenden Montag verschoben worden.

Der Ex-Bildungsstadtrat des Ostberliner Magistrats, Dieter Pavlik, jetzt Vorsitzender des Schulausschusses im Abgeordnetenhaus, befürchtet: Wenn das erwähnte Papier durchgesetzt werden sollte, würden tatsächlich LehrerInnen in großem Maßstab entlassen. Er bezieht sich auf die derzeit 24.400 Pädagogen Ost-Berlins, darunter ungefähr 9.000 HortnerInnen, von denen seiner Schätzung nach 3.000. bis 4.000 in den genannten Fächern unterrichten. Noch im Dezember habe er mit der damaligen Schulsenatorin Heide Pfarr die Übernahme aller LehrerInnen geregelt. Geplant gewesen seien Umschulungs- und Fortbildungsmaßnahmen für die LehrerInnen.

Die Senatsschulverwaltung spricht dagegen von einer »sinnlosen Panikmache und bewußter Irreführung«. Die Zahl der möglichen Entlassungen, sagte Pressesprecher Ungruhe, sei »ohne Substanz«. Es gehe jetzt darum, zitiert er Schulsenator Jürgen Kleemann, daß »Lehrer mit entsprechender Lehrbefähigung und persönlicher Eignung an den neuen Schulen arbeiten können«. Eine fachliche Qualifikation sei allerdings dann zu verneinen, wenn Fächer vertreten seien, die nicht in der Stundentafel der Berliner Schule zu finden sind. Hierbei handelt es sich insbesondere um das Fach Staatsbürgerkunde und die Pionierleiter. Nach Schätzungen der Senatsschulverwaltung seien davon ungefähr 600 LehrerInnen betroffen. Zahlen über den endgültigen Bedarf an Lehrern ließen sich gegenwärtig noch nicht nennen: »Dazu müssen die endgültigen Vorgaben der Schulstruktur und der äußeren Schulorganisationen feststehen«, betonte Ungruhe. Anja Baum