Ist er es wirklich?

■ Klaus Michael Grueber inszeniert „Amphitryon“ für die Berliner Schaubühne

Ein Fingerschnipsen reicht, und der Mond, der klein und rund und gelb am Bühnenhimmel steht, erlischt. Auf Wunsch schaltet er sein Lichtlein wieder an. Der kleine Mond wirft einen riesengroßen Schatten, der Mond als Scheibe, die in fahlem blauen Nachtlicht badet. Ein Kunstlicht, das die Vorgänge der Nacht sichtbar macht, ein Zwielicht, das auch am Tag träumen läßt. Manchmal, so spielt's im Leben, erscheinen einem die Dinge eben in einem anderen Licht.

Dann durchschreitet Alkmene diesen Kreis und wandelt in der bis dahin toten Mondlandschaft, die sich plötzlich pastellfarben belebt, und träumt von Jupiter in der Gestalt des Amphitryon. Eben noch hielt sie ihn in Händen, den Göttlichen, der vom Olymp herniedergestiegen. Und so sehr meint sie ihrer inneren Empfindung zu trauen und der bloßen Erscheinung zu trotzen, daß sie am Ende, vor die verwirrende Frage gestellt, welcher von beiden Männern nun ihr Gatte sei, auf Jupiter verweist.

Heinrich von Kleist, der seine Tragikomödie in den Jahren 1805/06 noch vor Penthesilea und dem Käthchen schrieb, treibt Alkmene in die äußerste Gefühlsnot, an den Rand aller Selbstgewißheit, denn wem oder was, wenn nicht der innersten Empfindung, der Wahrheit des Herzens, soll sie trauen? Und was, wenn ihr Herz nun wahr gesprochen hätte?

Amphitryon ist ein Mann der Macht, der sich selbst nicht in Frage stellt. Aber er ist gekränkt und eifersüchtig, er schwört Rache. Als Jupiter sich am Ende offenbart, nimmt er mit einem schlichten „Dank dir“ (das Otto Sander wunderbar trocken ausspricht) das Geschenk des Olympers an, ihm einen Sohn, den Herkules, zu schenken. Diesem Nebenbuhler muß sich Amphitryon eher zähneknirschend und doch auch dankbar beugen. Schließlich ist er noch mal davon gekommen. Ist er es wirklich? Amphitryon weiß, die menschliche wie auch die göttliche Natur ist schwach.

Einer, der weiß, daß er nicht viel weiß (und das macht ihn in gewisser Weise schlauer als Amphitryon) ist Sosias, des Feldherrn Diener. Udo Samel spielt ihn, und man muß ihn einfach lieben, diesen verwirrten, aufrechten kleinen Geist im Wechselspiel der Identitäten. Klein ist der Mann und nicht unbedingt schön mit seiner Halbglatze. Er geht immer aufrecht, die Arme links und rechts längs ausgestreckt, häufig ballt er dabei die Hände. Er ist die würdevolle Verkörperung des kleinen Mannes, der weiß, daß er nicht aus seiner Haut kann, selbst wenn er wollte, selbst wenn man ihm seine Identität rauben sollte. Die Welt ist relativ, und sie ist willkürlich. Sosias mußte nun einmal Diener werden, und er müht sich redlich, damit klarzukommen.

Der gewitzte Merkur macht es ihm dabei nicht einfach. Dieser knüppelt auf ihn ein, und rechtzeitig zieht Sosias seinen Kopf ein. Mit einigen Federn am Bein ist Merkur (Gerd Wameling macht aus ihm einen gerissenen Dandy) deutlich als Hahnrei gekennzeichnet. Sosias heftet sich am Ende beherzt eine davon an seinen Hut, ein bißchen Wagemut gegenüber seiner schrulligen Frau Charis kann nicht schaden. Dem Gourmet Merkur war sie nicht hübsch genug.

Es geschehen Zeichen und Wunder auf der Bühne — und im Stück. Der Regisseur, Klaus Michael Grueber, der das Stück — für die Schaubühne — im Berliner Hebbel-Theater inszenierte, hat gemeinsam mit seinem Bühnenbildner Gilles Aillaud einen Raum des künstlichen Illusionismus kreiert, der durchaus das Etikett „gehobener Kitsch“ verträgt. Kitsch, der bei Grueber und seinen Schauspielern gut aufgehoben ist. Manche Strecken dieses auf die Hauptfiguren reduzierten Stückes (Grueber hat die Szene mit den Feldherren gestrichen) sind allerdings etwas zu ätherisch geraten.

Am Ende bleibt Jutta Lampe als Alkmene im Kreis des Mondes alleine zurück — diesem Kunstraum, der den Illusionismus des Spiels doppelt erhellt hat. In sich versunken steht sie da, hat sie dies alles nur geträumt? Plötzlich schneit es vom Bühnenhimmel, sie versucht einige Flocken mit der Hand aufzufangen. Alkmene kehrt aus dem Bannkreis zurück zur Bühnenrampe, Minuten scheinen vergangen, und nun endlich spricht sie ihr letztes Wort. Ach! Sabine Seifert

Heinrich von Kleist: Amphitryon . Regie: Klaus Michael Grueber. Bühne: Gilles Aillaud. Mit Peter Simonischek, Jutta Lampe, Otto Sander, Udo Samelk, Gerd Wameling, Imogen Kogge. Eine Produktion der Schaubühne am Lehniner Platz im Hebbel-Theater Berlin. Nächste Aufführungen: 26./27.3.