Kollektive Amnesie statt kritischen Rückblicks

Eine Nachbereitung der amerikanischen Vorkriegsdiplomatie findet nicht statt  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Nach dem Ende des Golfkrieges sei nun „die Zeit für einen Rückblick gekommen“, erklärte die ehemalige US-Botschafterin in Bagdad vor den Kongreßausschüssen — verhinderte dies jedoch mit ihren Worten.

Vor den Untersuchungsausschüssen von Senat und Repräsentantenhaus hätte April Glaspie— die Frau, die Saddam Hussein im Auftrag der Bush-Administration vor dem 2. August zur Invasion in Kuwait eingeladen hatte — eigentlich Licht in das Dunkel der amerikanischen Vorkriegsdiplomatie bringen sollen. Statt dessen gab ihr Auftritt vor den fragenden Volksvertretern zu neuen Fragen Anlaß.

Wenn Botschafterin Glaspie Saddam Hussein wirklich so eindringlich vor einem militärischen Vorgehen gewarnt hatte, wie sie jetzt betonte, warum hatte die Bush-Administration dann sieben Monate lang den Eindruck entstehen lassen, die USA hätten Saddam ihr Nichteingreifen signalisiert? Wenn das im September vom Irak veröffentlichte Protokoll der letzten Unterhaltung zwischen Glaspie und Hussein nur, wie heute betont, die halbe Wahrheit enthielt, warum können die USA dann nicht wenigstens jetzt die volle Niederschrift der Unterhaltung herausrücken? Weder April Glaspie noch ein Sprecher des US-Außenministeriums vermochten hierauf eine zufriedenstellende Antwort zu geben.

So ist denn dem alten Skandal einer naiven oder konspirativen US- Politik gegenüber Saddam Hussein vor der Invasion in dieser Woche ein neuer Skandal hinzugefügt worden: das Verhalten von Kongreß und Medien bei der Nachbereitung jener Ereignisse, die den Krieg im Mittleren Osten erst heraufbeschworen hatten.

Schon am Mittwoch hatten die Senatoren des außenpolitischen Ausschusses ihre sonst so gefürchtete Fragestunde für Glaspie in ein informelles Plauderstündchen verwandelt. „Wir haben den Krieg gewonnen, no questions, please“, schien das Motto zu lauten.

Am Donnerstag gab es vor dem Ausschuß des Repräsentantenhauses wenigstens noch eine Handvoll kritischer Fragen an die Ex-Botschafterin. Doch all dies war am zweiten Tag dieser großangekündigten Aufarbeitung der Vorkriegsgeschichte von so geringem Interesse, daß die 'Washington Post‘ den zweiten Auftritt der Botschafterin vor dem Kongreß schon nicht mehr für berichtenswert hielt.

Angesichts der astronomischen Beliebtheitsrate des George Bush scheinen Kongreß und Medien nunmehr endgültig jede Kontrolle amerikanischer Außenpolitik aufgegeben zu haben, um sich beim Volke nicht weiter unbeliebt zu machen. Im Triumphgefühl des Sieges über ein Drittweltland mit einem viertklassigen Diktator erliegen die USA erneut der kollektiven Amnesie.