„Sieg Heil“ auf der Kegelbahn

■ Namibias Deutsche sind ungebrochen selbstbewußt: „Wir haben alles aufgebaut“

Kaffer dürfen wir euch nicht mehr nennen“, erklärte ein weißer Schüler an der „Deutschen Höheren Privatschule Windhuk“ seinem schwarzen Klassenkameraden, „drum heißt ihr jetzt Benor“. Die Erklärung folgte unaufgefordert: Benor stehe für „Betriebseigene Neger ohne Rechte“. Die nachfolgende Maßregelung des Sohns eines deutschstämmigen Bauern in Namibia hatte ein Nachspiel. Von einer Vertreterin des Schulvorstands wurde die Erzieherin zur Schnecke gemacht: Was ihr einfalle, den Schüler wegen dieses Spruchs zu disziplinieren.

Fünf Prozent der 1,3 Millionen Einwohner Namibias sind Weiße. Die 30.000 Deutschstämmigen — voller Stolz nennen sie sich „Südwester“ — kontrollieren die Wirtschaft des afrikanischen Landes. Wie beim gleichnamigen Ölzeug das Wasser abläuft, so scheint bei ihnen auch der Wechsel der Zeiten abgeprallt zu sein. „Die verstehen sich als die wahren Deutschen hier“, sagt Heike Sievers. Die Erzieherin im Wohnheim der „Deutschen Höheren Privatschule Windhuk“ wuchs in Namibia auf. Mit dem Elternbeirat geriet sie über Kreuz, weil sie den alltäglichen Rassimus nicht mehr mitmachen wollte. Ihr Vater, ein anderes schwarzes Schaf in der Deutschen Kolonie, hält ebenfalls nicht mit seiner Meinung hinter dem Berg: „Alle Kritik an den Sitten und am latenten Faschismus hier wird als Feindpropaganda abgetan.“

Geändert hat sich in Namibias Hauptstadt Windhuk, einem verschlafenen Provinznest, auch äußerlich wenig, seitdem am 21. März 1990 die Unabhängigkeit von Südafrika erklärt wurde: Die Kaiserstraße in Unabhängigkeitsstraße umgetauft, die Göringstraße wurde nach dem Vater des Reichmarschalls benannt. Wer auf der Straßenkarte den Unterschied nicht erkennt, ist selber schuld. Bei Gathemans ist die Speisekarte weiter auf Deutsch abgefaßt. Und in Jochens Schatzkiste, einem Tand- und Trödelladen in einer Seitenstraße, gibt es Aufkleber mit Hakenkreuzfähnchen. Wem das nicht reicht, der kann in einem anderen Laden ein Schild mit den Buchstaben „DSWA“ erstehen — für „Deutsch Südwest-Afrika“ und damit auch klar bleibt, was gemeint ist, sind die Buchstaben in Runenschrift gedruckt.

„Südwestafrika war ein Paradies und ist es auch heute,“ heißt es in dem 1985 erschienen Buch Vom Schutzgebiet bis Namibia. Im Vorwort schreibt Wilhelm Weitzel, damals Vorsitzender der Interessengemeinschaft deutschsprachiger Südwestler, beschönigend und entlarvend zugleich: „Erst als 1884 das Deutsche Kaiserreich unter Wilhelm I. und Fürst Otto von Bismarck den Schutz übernahm, entstand aus den primitiven Anfängen ein nach europäischen Begriffen geordnetes Staatswesen — das Schutzgebiet, das den Namen Deutsch-Südwestafrika trug und die Grundlagen für heutiges Denken und fühlen schuf.“

„Sieg Heil“ brüllt ein Gast seinen Freunden zu, bevor er von der Kegelbahn des Sportklubs Windhuk an den breiten Thesen stürmt und sich ein gezapftes „Windhuk Lager“ die Kehle hinunterstürzt. In der mit dunkelbraunem Holz getäfelten Schänke spricht selbst das farbige Bedienungspersonal Deutsch. Was einen Straßenbauer nicht hindert, lauthals über „unsere schwarzen Arschlöcher“ zu schimpfen, die jetzt plötzlich mitreden wollen, seitdem sie die Regierung stellen.

Nestbeschmutzer

In die „Deutsche Höhere Privatschule Windhuk“ schickte Namibias Regierung gar eine Untersuchungskommission. Der Auftrag wird geheim gehalten. Aber in Windhuk gilt als offenes Geheimnis, daß es mit dem dort herrschenden „Denken und Fühlen“ zu tun hat. Erst seit zwei Jahren dürfen in dem Schülerheim, das Platz für 250 Pennäler bietet, in dem gegenwärtig aber nur 220 untergebracht sind, auch schwarze Schüler wohnen. 22 haben in diesem Zeitraum den Mut bewiesen, das Risiko auf sich zu nehmen. Mit zweifelhaftem Erfolg: Als sie sich in einem Brief über die Zustände beschwerten, wurden sie als Nestbeschmutzer abgekanzelt. Die Erzieherin Heike Sievers wurde gefeuert, weil sie den Schülern die Stange hielt. Zwar mußte der Schulvorstand die Kündigung zurücknehmen, aber ihr wurde anschließend das Leben so schwer gemacht, daß sie trotzdem geht.

„An der Schule hat sich nur etwas verändert, wenn Druck von außen kam“, kommentiert Heike Sievers. Dazu gehörte auch Druck aus Bonn. Mit rund fünf Millionen Mark jährlich — Lehrergehälter eingeschlossen — hält der deutsche Steuerzahler die „Deutsche Höhere Privatschule Windhuk“ mit ihren insgesamt 876 Schülern über Wasser. Weltweit erhält keine andere deutsche Auslandsschule soviel Geld. Und keine andere Schule gilt im Auswärtigen Amt als so problematisch — nicht einmal die in Südafrika.

Ganze fünf Elternpaare waren damit einverstanden, daß ihre Kinder in einer Gruppe mit schwarzen Schülern arbeiteten. Sie gaben schnell auf: Ihre Kinder waren von den Schulkameraden gehänselt und mißhandelt worden. Dann wurden ein oder zwei schwarze Schüler pro Gruppe eingeteilt. Doch auch das soll nun rückgängig gemacht werden. Schwarze Schüler in eine, deutschstämmige Weiße in eine andere Schule — so sieht die zukünftige Taktik aus. Und um Probleme mit den Erziehern zu vermeiden, sucht der Schulvorstand jetzt vorzugsweise weißes Personal aus Namibia selbst. Der Grund: Fachkräfte aus der Bundesrepublik achten nicht genügend auf den Unterschied zwischen den Hautfarben.

„Wo schon nicht verhindert werden kann, daß Schwarze in die Schule kommen, soll ein Klima herrschen, daß ihnen den Besuch der Schule verleidet“, glaubt eine Lehrerin, die ihren Namen nicht genannt haben möchte. Hanjo Böhme, der Vorsitzende des Schulvereins, wollte auf Anfrage keine Auskünfte geben. In einem Brief an das Auswärtige Amt aber reduziert er die Problematik auf den „Fall Sievers“ und beklagt sich über die „Verpolitisierung einer Personalmaßnahme“ — und erlaubt sich am Briefende den Hinweis, daß der Speisesaal dringend ausgebaut werden müsse.

Für die alteingesessenen „Südwester“ liegt das ganze Problem recht einfach. Sie kennen sich aus in Namibia. „Natürlich muß ich meine schwarzen Arbeiter schlagen,“ rechtfertigt sich ein Bauer 120 Kilometer nördlich von Windhuk, „ich muß die doch erziehen.“ Änderungen? Umdenken? „Wir haben das alles hier aufgebaut und jetzt kommen andere und wollen darüber verfügen“, schimpft ein älterer Herr, der in Windhuks „Café Schneider“ an einer Schwarzwälder Kirschtorte löffelt. Willi Germund