Vom Po-Kneifen bis zur Nötigung

Drei von vier Frauen werden am Arbeitsplatz sexuell belästigt/ Das ergibt eine Studie im Auftrag des ehemaligen BMJFFG/ Bundesfrauenministerin Merkel verspricht Aktionen: „Kein Kavaliersdelikt“  ■ Aus Berlin Ulrike Helwerth

Eine Verleumdungsklage handelte sich jüngst die Gleichstellungsbeauftragte im Kieler Rathaus ein, weil sie die Beschwerden über den Leiter des Kieler Liegenschaftsamtes publik gemacht hatte. Gegenüber Mitarbeiterinnen hatte dieser wiederholt gemeint, Frauen seien „nur zum Kaffeekochen und zum Hinternwackeln da“.

Sexuelle Belästigungen gehören wie das Kaffeekochen zum Arbeitsalltag von Frauen. Das geht aus einer Untersuchung hervor, die jetzt von Bundesfrauenministerin Angela Merkel vorgestellt wurde. Nach dieser ersten bundesweiten und branchenübergreifenden Befragung im Auftrag des ehemaligen Bundesministeriums für Jugend, Frauen, Familie und Gesundheit, durchgeführt vom Landesinstitut Sozialforschungsstelle Dortmund, sind fast drei von vier Frauen (72 Prozent) an ihrem Arbeitsplatz bereits sexuell belästigt worden. Die Übergriffe reichen von anzüglichen Bemerkungen (Häufigkeit 56 Prozent), Po-Kneifen (34 Prozent), Busen-Grapschen (22 Prozent) über sexuelle Erpressung (Versprechen beruflicher Vorteile: sieben Prozent, Androhen beruflicher Nachteile: fünf Prozent) bis hin zu sexueller Nötigung (fünf Prozent). Belästigt werden laut Studie hauptsächlich alleinstehende Frauen im Alter von 20 bis 30 Jahren mit kürzerer Betriebszugehörigkeit, besonders aber in ungeschützten Arbeitsverhältnissen und untergeordneten Positionen. Die Belästiger sind überwiegend Kollegen, zu 21 Prozent jedoch auch Vorgesetzte. Es können aber auch Kunden, Klienten oder Patienten, zum Beispiel im Krankenhaus, sein. Wagen es Frauen, sich gegen die Anmache zur Wehr zu setzen, folgen häufig betriebliche Anfeindungen oder andere Schwierigkeiten. So berichteten 47 Prozent der belästigten Frauen von Nachteilen im Beruf, sechs Prozent haben gekündigt, drei Prozent wurden versetzt, zwei Prozent erhielten schlechtere Zeugnisse. Hingegen wurden von den Tätern nur sechs Prozent verwarnt, ein Prozent versetzt und 0,4 Prozent entlassen. Die Studie belegt auch, daß Personalleitungen und Betriebsräte bei sexueller Belästigung nach wie vor oft beide Augen zudrücken. Solange es keine ZeugInnen gibt, wird dem Belästiger mehr geglaubt als dem Opfer. Bundesfrauenministerin Angela Merkel will sich dafür einsetzen, daß solche Übergriffe nicht länger als „Kavaliersdelikte“ angesehen werden.

Die Kölner Gleichstellungsbeauftragte Lie Selter hat folgende Erfahrung gemacht: „Jedesmal, wenn wir das Thema aufgreifen, werden wir wie Nestbeschmutzerinnen diffamiert, und eine Art moderne Hexenverfolgung setzt ein.“ Ihre Kollegin in Kiel bekam nicht nur die Verleumdungsklage an den Hals, die Kieler CDU-Fraktion torpedierte auch ihren Fragebogen zur sexuellen Belästigung am Arbeitsplatz. So verlangten die ChristdemokratInnen, die wichtigste Frage — diejenige nach persönlichen Erfahrungen — müsse gestrichen werden. In einem Brief an die Stadtpräsidenten bezeichneten sie den Bogen als „Aufforderung zur Denunziation“, die „an Methoden des Dritten Reiches und der Stasi“ erinnere. Der Schutz der Männer sei so nicht mehr gewährleistet.