Sozialer Crash in Altenberg

Am Gründonnerstag: Förderung der letzten Tonne Zinn in Altenberg/ Bitteres „Osterei“ für die verbliebenen 650 Beschäftigten der Grube  ■ Von Frank Wetzel

Dippoldiswalde. Was Anfang März von der Treuhand in Berlin entschieden worden war, wird am Donnerstag dieser Woche nun bittere Realität: In der auf dem Osterzgebirgskamm in Altenberg gelegenen letzten Zinngrube Deutschlands wird die letzte Tonne des Schwermetalls gefördert. Wahrlich kein schönes „Osterei“ für die noch verbliebenen 640 Beschäftigten in Grube und Betrieb der immerhin größten Zinnerzlagerstätte Mitteleuropas, geht damit doch zugleich in diesem Raum unwiderruflich eine 550jährige Tradition zu Ende. Für die Kumpel der erst Mitte 1990 gegründeten Zinnerz GmbH Altenberg allenfalls ein Grund, sich am Gründonnerstag mit Geschäftsleitung sowie Landrat von Dippoldiswalde noch einmal kurz zusammenzufinden und ohne großes Pathos der durchaus schicksalsschweren Stunde auch für die Region um Altenberg zu gedenken.

Dabei kam das „Aus“ des Zinnerzbergbaus für die Kumpel keineswegs überraschend, denn nicht erst seit Öffnung der Mauer ist den hier Tätigen bekannt, daß mit dem Fall des Zinn-Weltmarktpreises in den achtziger Jahren von 36.000 DM pro Tonne auf 11.000 DM das wirtschaftliche Ende für die Armerzlagerstätte — aus einer Tonne Erz sind hier bestenfalls drei Kilo Zinn zu gewinnen — vorprogrammiert war. Bedenkt man schließlich, daß Förderung und Aufbereitung einer Tonne in Altenberg etwa 17.000 Mark kosten, auf dem Weltmarkt für Zinn inzwischen aber lediglich 8.000 Mark zu berappen sind, dann läßt sich die Misere der Zinnerz-Leute erst recht ermessen. Dabei hatte es für die Altenberger zu „sozialistischen Zeiten“ noch so rosig ausgesehen, galten doch auch in der damaligen DDR die völlig überhöhten, sogenannten RGW-Festpreise, wurde 90 Prozent des DDR-Eigenbedarfs an Zinn aus dieser Lagerstätte abgedeckt. Daß man seinerzeit auf Zukunft setzte, wird daran deutlich, daß noch bis Ende 1988 rund 500 Millionen Ostmark in den Ausbau der Lagerstätte investiert wurden...

Droht mit dem Produktionsstopp für das Zinnerz-Unternehmen nunmehr auch der soziale Crash für die Region Altenberg? Bis jetzt steht zumindest fest, daß es an einer organisierten Nachfolgeproduktion weitgehend mangelt, zumal die Höhenlage von 800 Metern sowie eine ausgeprägte wirtschaftliche Monostruktur im gesamten Landkreis offensichtlich kaum Investitionsanreize bieten. Zudem hat die bisherige wirtschaftliche Talfahrt auch vor den im Territorium ansässigen Firmen und landwirtschaftlichen Einrichtungen nicht haltgemacht, „so daß aufgrund erster geglückter Versuche bei der Schaffung von Arbeitsplätzen durch unseren Betrieb ein unwahrscheinlich starker Druck auf den hiesigen Arbeitsmarkt entsteht“, gibt Zinnerz-Chef Dr. Wolfgang Schilka zu bedenken.

Seit das „Aus“ für die Zinngrube abzusehen war, haben Geschäftsführung und Betriebsrat des Unternehmens nichts unversucht gelassen, um für möglichst alle Zinnerz-Beschäftigten eine neue Tätigkeit zu finden. Nachdem Hoffnungen zerschlagen sind, mittels einer Lehr- und Versuchsanstalt für Bergleute aus der Dritten Welt wenigstens einen Teil der Arbeitsplätze zu erhalten, baut das Unternehmen nunmehr in erster Linie auf bereits gegründete und noch entstehende Tochterfirmen. Dazu zählen ein Tiefbau-Unternehmen, eine Armaturenproduktionsstätte, ein „Grenzlandmarkt“ sowie ein Humuserde-Betrieb. Dadurch könnte es gelingen, im Verlauf des nächsten Jahres 200 der Beschäftigten eine neue Arbeit zu vermitteln, so daß mit den noch für die Verwahrung der Grube — den geordneten „Rückzug“ aus dem Bergbau — benötigten Arbeitskräften insgesamt 400 untergebracht wären. Intensive Bemühungen gebe es derzeit, für die übrigen 240 Mitarbeiter ebenso eine neue Beschäftigung zu finden wie für die in rund zwei Jahren aus der Verwahrung Ausscheidenden, versichert der Hauptgeschäftsführer. Dennoch kann es nicht Sache eines Unternehmens wie die Zinnerz GmbH Altenberg sein, Arbeitsplätze für ein ganzes Territorium zu schaffen. Hier dürften zuallererst Landratsamt und Landesregierung gefordert sein. adn