: Lang lebe der Treptower Park
■ Der neue Buttgereit: »Nekromantik 2«
Trashfilme, an denen sich früher nur eher kleine Publikumskreise erfreuten, werden inzwischen von immer mehr Kinogängern geschätzt. Die härtesten Gewaltakte — Kopfabhacken, Fingerabschneiden, Augenausstechen usw. — haben sich inzwischen auch im großen Kino etabliert. So wirkte es auch ein bißchen kokett, als man im Eiszeitkino die hartgesottene Trashfilmfangemeinde vor der Premiere von Jörg Buttgereits Nekromantik II darauf hinwies, daß die Toiletten »da vorne beim Eingang« sind.
Sie wußten, was sie erwarten würde und freuten sich auf: Leichen, die aus Gräbern gezerrt werden, schöne Frauen, die faulende Münder küssen, viel Blutgespritz, ein bißchen Pornographie und darüber, sich selbst wiederzufinden; im Sputnik, in der Pinguinbar und anderswo. Eklige Filme sind en vogue und wer darüber schreibt, hat vielleicht nur die Wahl, entweder alles prima zu finden, oder sich ins Abseits spießiger Blödmänner zu manövrieren.
Die Story: »Robert Schmadtke«, der leichenschänderische Held aus Nekromantik 1, »ist tot und begraben. Nun wird er selbst zum Objekt der Begierde für die junge Krankenschwester Monika.« (Info) Sie gräbt die Leiche aus und freut sich an ihr. Doch da trifft sie auf Mark, einen schnieken Pornosynchronsprecher und trennt sich von Robert. Zwei Teile behält sie jedoch. Doch eigentlich liebt sie beide, wie sie im Laufe des Films gewahr wird. Usw.
Doch wie den teuren, so mangelt es auch den meisten billigen deutschen Trashfilmen an einer filmischen Wirklichkeit, die das Geschlachte irgendwie plausibel, unausweichlich oder logisch machen würden. Die Welt der Gewalt hat — anders als in den italienischen oder amerikanischen Klassikern des Genres — nichts zu tun mit der Wirklichkeit, die sie filmisch umgibt. Täter und Opfer und Nekrophile könnten genausogut etwas ganz anderes machen. Wenn die Heldin an der Leiche ihres alten Freundes leckt, Leichensäfte und Speichel sich vermischen und Fäden ziehen zwischen zwei Mündern, wenn sie ihrem neuen Freund den Kopf abschneidet, wirkt das so unangebracht wie eine Sexorgie im Kantseminar oder als würde einem Champagner im ALDI-Markt angeboten — sinnlos, gekünstelt, unangebracht.
Keine Spannung wird aufgebaut, die dem Zuschauer das Grauen lehren könnte, kein Mensch in diesem Film hat eine Geschichte, die dazu führen könnte, daß man mehr empfände als Ekel, wenn Helden, die im Film keinen Körper bekommen haben, zersägt, zerfleischt oder zerstochen werden.
Weil es bestenfalls einen atmosphärischen Zusammenhalt der Geschichte gibt, wirkt das bewährte Repertoire guter Horrorfilme nur wie ein Zitat: Grüne Blätter, die sich auf dem Friedhofsweg teilen; Särge, rostige Messer, possierliche Tierchen, selbst die Leiche des Freundes, die die Protagonistin birgt, um unverständliche Sexspielchen zu treiben, ist so blau und grün und klebrig, daß man den Eindruck hat, Buttgereit hätte noch nie eine wirkliche gesehen. »Ich weiß sowieso nicht, was ich anfangen soll«, sagt einer der Protagonisten.
Doch genug geschimpft. Denn im Gegensatz zum wohlbehüteten Bürgerbübchen Christoph Schlingensief (Deutsches Kettensägenmassaker), der sich in seiner Filmchenwirklichkeit gegen vermeintlich blutarme Soziologen, Literatur- und Filmwissenschaftler mit Projektionsprols verbündet und in der Rolle des Bürgerschrecks auf dessen Lob schielt, hat Buttgereit einen recht genauen Blick für Details, zitiert trefflich aus der Filmgeschichte und verfügt vor allem über Humor.
Den abgesägten Kopf ihres toten Freundes präsentiert die pferdeschwänzige Heldin genau mit der deutschen Werbefilmgeste, mit der junge Hausfrauen in den siebziger Jahren ihre neue Küchenmaschine ins Licht gehalten haben. Wenn sie ihren bläulichen Freund neu eingekleidet hat und stolz neben ihm auf dem Sofa sitzt, so wiederholt sich die rührende Szene aus Das Messer am Fluß, wo Dennis Hopper zärtlich neben seiner Sexpuppe sitzt.
Nekromantik II entfaltet gerade in den nicht horrormäßigen Passagen ohne viel Worte ungeahnte Qualitäten. Interessant und schön sind die Berichte aus der Berufswelt der PornofilmsynchronsprecherInnen. Sehr lehrreich ist die Schilderung eines Frühstücks über den Dächern von Berlin: beim Eieressen erzählt Wolfgang Müller, der aus irgendeinem Grund nackt seiner nackten Freundin gegenübersitzt, viel Wissenswertes über die Vogelwelt. Selten sah man eine so sympathischromantische und liebevolle Schilderung des Treptower Kulturparks, auf dem sich das Protagonistenpärchen liebesselig amüsiert, und nie sind die eigentlich doch gar nicht so furchterregenden Pappmachéköpfe ostdeutscher Geisterbahnen besser in Szene gesetzt worden. Wunderbar ist auch eine Schilderung des Ostberliner Tierparks. Freudig lachen nette Menschen in die Kameras — gern würde man mehr über ihr Leben erfahren. Detlef Kuhlbrodt
Nekromantik 2, Produktion Manfred O. Jelinski, Regie: Jörg Buttgereit, Drebbuch: Buttgereit, Franz Rodenkirchen mit: Monika M., Mark Reeder, Wolfgang Müller, Käthe Kruse u.v.a.m.; Premierengala am 29. 3. im Sputnik- Wedding, »offizieller Starttermin« ab 18. 4. täglich im Xenon, Kolonnenstraße.
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