Die Kalkarisierung der Endlagerprojekte

Im Streit um das Endlager Schacht Konrad droht dem Land Niedersachsen eine Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht/ Auch die Grünen sehen keine Möglichkeit zum schnellen Stopp der Endlagerprojekte/ Kalkar ist das Vorbild  ■ Aus Hannover Jürgen Voges

Seit fast neun Jahren läuft das Planfeststellungsverfahren für das atomare Endlager Schacht Konrad. Doch jetzt hat es ausgerechnet das Bundesverfassungsgericht mit der ausgedienten Eisenerzgrube in Salzgitter richtig eilig. Am 9. April, gerade fünf Wochen, nachdem der Bundesumweltminister in Karlsruhe Klage gegen das Land Niedersachsen erhoben hat, will der 2. Senat des höchsten deutschen Gerichts über Töpfers Antrag verhandeln: Niedersachsen soll einer Weisung des Bundesumweltministers Folge leisten und die Planunterlagen für das Endlager umgehend auslegen. Im Streit zwischen dem Bund und Niedersachsen um die atomaren Endlager deutet sich die zweite Niederlage des rot- grün regierten Landes vor Gericht an. „Das Planfeststellungsverfahren für Schacht Konrad nicht weiter zu verfolgen“ und die „Baumaßnahmen am Endlager Gorleben zu beenden“, hatten SPD und Grüne noch vor einem dreiviertel Jahr in ihrer Koalitionsvereinbarung versprochen. Doch vor einem Monat hatte das Verwaltungsgericht in Lüneburg „versehentlich erteilte weitere Baugenehmigungen“ für Gorleben gegen den Willen des Landes für „sofort vollziehbar“ erklärt. Jetzt wird das Bundesverfassungsgericht und nicht, wie es Niedersachsen gern gesehen hätte, das Bundesverwaltungsgericht, über das Schacht-Konrad-Verfahren entscheiden.

Die niedersächsische Umweltministerin Monika Griefahn will zwar am 9. April vor dem Bundesverfassungsgericht persönlich die Interessen des Landes vertreten, aber viel lieber wäre sie gut 14 Tage später zum Bundesverwaltungsgericht nach Berlin gereist. Gegen die „Bundesaufsichtliche Weisung“, mit der Klaus Töpfer zuletzt Niedersachsen zur umgehenden Auslegung der Konrad-Unterlagen zwingen wollte, hatte Niedersachsen mit gutem Grund nicht in Karlsruhe, sondern in Berlin Klage erhoben. Nach Auffassung des Landes Niedersachsen sind die Unterlagen für das Endlager Konrad auch fast zehn Jahre nach der förmlichen Einleitung des Planfeststellungsverfahrens noch unvollständig. Eine Auslegung unvollständiger Unterlagen aber würde gegen die im Atomgesetz festgelegten Regeln des Planfeststellungsverfahrens verstoßen und wäre somit rechtswidrig. Nun hatte sich allerdings das Bundesverfassungsgericht im Mai vergangenen Jahres in einem ähnlichen Rechtsstreit mit dem „Kalkar- Urteil“ ganz auf die Seite des Bundes geschlagen: Nach diesem Urteil müssen Länder im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung Weisungen des Bundes in der Regel auch dann nachkommen, wenn sie deren Umsetzung für rechtswidrig halten.

Nur das Bundesverwaltungsgericht hatte in einer Stellungnahme zu diesem Kalkar-Verfahren eine andere Auffassung vertreten: „Verfassungswidrig“ sei es, so hieß es aus Berlin, wenn der Bund per Weisung eine Verfahrensweise verlange, die dem Atomrecht widerspräche. Mit einiger Aussicht auf Erfolg hatte daraufhin Niedersachsen seine Klage gegen Töpfers Weisung vor dem Bundesverwaltungsgericht erhoben. Erst nachdem dort recht zügig als Termin der Hauptverhandlung der 24. April festgesetzt wurde, gerieten die Karlsruher Richter in Eile: Das Bundesverwaltungsgericht drohte in eine Domäne des Bundesverfassungsgerichts einzubrechen und zum erstenmal in einem solchen Bund- Länder-Streit zu entscheiden. Da nun auch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts noch vor dem 24.April zu erwarten ist, muß das Berliner Gericht den Termin wohl bald wieder absagen.

In der rot-grünen Koalition hat man sich schon jetzt auf eine erste Niederlage in Sachen Schacht Konrad eingestellt. „Wenn das Bundesverfassungsgericht gegen uns entscheidet, legt das Land natürlich die Planfeststellungsunterlagen aus“, sagt der Grüne Hannes Kempmann. Der Landtagsabgeordnete, der seine politische Karriere einst als Pressesprecher der Bürgerinitiative Lüchow-Dannenberg begonnen hatte, mußte allerdings schon wegen der Genehmigungen der Landesregierung für das Endlager Gorleben herbe Kritik von seiner Basis einstecken. Auf den ersten Blick steht das Bundesamt für Strahlenschutz beim Gorlebener Endlagerprojekt dank Rot-Grün jetzt besser da als je zuvor: Unter dem Druck einer Untätigkeitsklage hatte das Umweltministerium in Hannover vor kurzem auch noch einen zweiten „Hauptbetriebsplan“ für Gorleben erlassen, der das Niederbringen beider Endlagerschächte und deren Innenausbau erlaubt. Das Ministerium wollte damit „die unklare rechtliche Situation“ bereinigen, die die Regierung Albrecht in Gorleben hinterlassen hatte. Zu Albrechts Zeiten war in den Schächten quasi immer nur auf Grundlage von Sondergenehmigungen, „Sonderbetriebsplänen“, gearbeitet worden, die nach der neueren Rechtsprechung ohne einen Hauptbetriebsplan gar nicht gültig sind. Nicht nur die BI Lüchow-Dannenberg sah einen „krassen Widerspruch“ zwischen den neuen rot-grünen Baugenehmigungen und dem „Ende der Baumaßnahmen in Gorleben“, das die Koalitionsvereinbarung versprochen hatte. „Sicher haben wir in der gerichtlichen Auseinandersetzung um Gorleben ein Stück weit verloren“, sagt auch der Abgeordnete Kempmann, aber gibt sich weiterhin optimistisch. Zum erstenmal habe jetzt schließlich ein Gericht bestätigt, daß die neben dem Endlager geplante riesige Salzhalde nicht in Betrieb gehen dürfe. Es sei faktisch unmöglich, das gesamte beim Auffahren des Endlagerbergwerks anfallende Salz per LKW abzutransportieren. Zwar noch nicht für den Schachtbau, aber für das Auffahren des eigentlichen Endlagerbergwerks müsse der Bund auch noch die Abbaurechte am Gorlebener Salzstock in seinen Besitz bringen. Bei einer Enteignung des Grafen Bernstorf, in dessen Familienbesitz sich diese Salzrechte seit altersher befinden, werde das Land aber kaum behilflich sein.

Jetzt scheint der rot-grünen Landesregierung auch noch die Geologie zur Hilfe zu kommen. Die beiden Gorlebener Schächte werden im Gefrierverfahren niedergebracht. Zur Stabilisierung des Erdreichs wird durch Bohrungen um die Schächte ständig Kühlmittel gepumpt. Noch nie allerdings hat der Bau von Gefrierschächten solange gedauert wie in Gorleben. Im Schacht hat sich jetzt wiederum in einer Tiefe zwischen 160 und 170 Metern die aus Betonsteinen bestehende Schachtwand um 18 Zentimeter verschoben, nur Verformungen bis zehn Zentimeter gelten sicherheitstechnisch als tragbar. In diesem Schacht ruhen daher die Bauarbeiten, bis das Bundesamt für Strahlenschutz ein neues Gutachten zur Standsicherheit vorgelegt hat.

Bei den Endlagerprojekten Gorleben und Konrad hat sich der Abgeordnete Kempmann inzwischen auf jahrelanges zähes Ringen mit dem Bund eingestellt — „Kalkarisierung“ heißt das Stichwort. Auch nach einer Niederlage vor dem Bundesverfassungsgericht, auch durch die Auslegung der Planfeststellungsunterlagen für Schacht Konrad sei dieses Endlager schließlich noch längst nicht genehmigt. Der Bund könne das Land zwar zu einer Auslegung der Unterlagen, aber kaum zur Erteilung einer gerichtsfesten Genehmigung zwingen. „Den Rechtsstreit um den schnellen Brüter hat Bonn auch vor dem Bundesverfassungsgericht gewonnen, aber dennoch ist er jetzt endgültig stillgelegt“, sagt Kempmann. Auf lange Sicht seien eben solche Projekte wie der Brüter, Konrad oder Gorleben nicht gegen den Willen einer Landesregierung und der betroffenen Bevölkerung durchsetzbar. Eine solche Rechnung kann jedoch nur aufgehen, wenn Rot-Grün in Niedersachsen keine vierjährige Episode bleibt.