Liturgie, Pascha und Eierkullern

■ Das russische Osterfest ist prächtig, fröhlich und kalorienreich

Berlin. Für die Russen ist Ostern das wichtigste Fest des Jahres, viel wichtiger und prächtiger als Weihnachten oder andere Feiertage. Trotz staatlicher Verbote feierte man es in der Sowjetunion heimlich. In diesem Jahr wird das Osterfest ganz besonders prächtig ausfallen, zum erstenmal sind Karfreitag und Ostermontag ganz offizielle Feiertage.

Auch in Berlin wird das Fest glanzvoll ausfallen, allerdings war es das schon immer. Aber etwas Neues gibt es im Ostteil der Stadt. In der Hauskirche des Erzbischofs in Karlshorst wird erstmals der neue Bischof Theofanos die Liturgie leiten. Ob in Karlshorst, in der Russischen Kirche in Potsdam oder in der Großen Russischen Kirche in der Wilmersdorfer Nachodstraße — im Prinzip steht der Ablauf fest.

Heute um 23 Uhr beginnt die Liturgie und sie wird lange dauern. Die volle Liturgie dauert über fünf Stunden, bis der Himmel beginnt hell zu werden. Vorsänger, Chor, die tiefen Männerstimmen, die Liturgieteile wiederholen sich, dazwischen kleine Pausen, in denen neue Gäste kommen und müde gewordene nach Hause gehen. Nur den Höhepunkt um Mitternacht, darf niemand verpassen und das ist die Zeremonie »Kretowij chod«, zu deutsch: Christ weist einen Gang mit dem Kreuz. Der Bischof voran und alle Gläubigen hinter ihm, gehen mit Kerzen in den Händen um die Kirche herum. »Kristos woskres«, sagen sie zueinanander, Christus ist auferstanden, und die traditionelle Antwort lautet: »Woispino woskres«, ja, er ist wahrhaftig auferstanden. Jeder umarmt sich und küßt sich.

Der zweite Höhepunkt, unmittelbar nach Beendigung der langen Liturgie, ist das »Rasgowlenie«, das große Osterfrühstück. Die orthodoxen Christen haben sich diese Belohnung wahrhaftig verdient. Wochenlang hat man gefastet und ganz besonders in der strengsten Fastenzeit, der »Welikij post«, der Woche zwischen Palmsonntag und Ostern. Nichts durfte gegessen werden, was von lebendigen Tieren stammte, keine Milch getrunken, kein Ei, keine Fette, kein Fisch. Das Osterfrühstück findet entweder in der Gemeinde oder zu Hause statt. Auf jeden Fall, die Gäste kommen und gehen, es herrscht Freude, Trubel und der Tisch bricht fast unter den Lasten zusammen. In der Mitte prangen die mit Blumen geschmückten Paschas und die Kolitzchs, in der Kirche geweihte süße Köstlichkeiten. Ein Muß an jedem russischem Ostertisch. Pascha ist eine in Rundform gepreßte Quark-, Butter-, Eier-, Zuckermasse und überaus kalorienreich, der Kolitzch ein gebackener Kuchenturm, voll mit Nüssen, Mandeln und Rosinen. Daneben gibt es aber alles, was wochenlang entbehrt wurde. Fisch, Fleisch, Kaviar, auch Schnaps und leichte Weine und selbstverständlich Eier, viele bunte Eier, ganze Schüsseln voll. Wochenlang kann keiner mehr harte Eier sehen.

Sie werden aber nicht nur gegessen, am Ostersonntag wird mit ihnen auch gespielt. Das im ganzen Osten berühmte »Eierkullern«. Die Sitten sind hart, jedenfalls in meiner Familie. Von einem abschüssigen Brett werden die Eier heruntergerollt (nicht geworfen), gleichmäßig runde Eier kullern erfahrungsgemäß in die Mitte, ansonsten zeigt die Spitze die ungefähre Zielrichtung an. Zweck des Spieles ist, beim Kullern ein bereits liegendes Ei zu treffen. Das darf man dann behalten. Kullern nacheinander lauter Anfänger, ist die Auswahl groß. Sind Profis dabei, dann gehen viele leer aus, und die Gewinner haben Eier bis zu Weihnachten. Anita Kugler