TOURISTISCHE KULISSE: KULTURELLE VIELFALT

■ Der indonesische Staat wirbt mit seinen Minderheiten für den Tourismus und raubt ihnen gleichzeitig jegliche Rechte

Der indonesische Staat wirbt mit seinen Minderheiten für den Tourismus und raubt ihnen gleichzeitig jegliche Rechte

VONKLEMENSLUDWIG

„Visit Indonesia Year 1991“ (Besucht das Indonesien-Jahr 1991) — in etwas eigenartigem Englisch prangert die Aufforderung derzeit von vielen Flughäfen und aus den Fremdenverkehrsbüros in Südostasien. Warum gerade in diesem Jahr nach Indonesien? Die Frage drängt sich natürlich auf. Stehen irgendwelche Jubiläen auf dem Programm? Nein, eigentlich gibt es keinen besonderen Grund — außer der Planung der südostasiatischen Tourismusmanager. Die küren nämlich jedes Jahr ein Land ihrer Region, das bei den allgemeinen Werbeanstrengungen besonders im Mittelpunkt steht. Zuletzt war es Malaysia und nun ist Indonesien in den Genuß der Publizität gekommen.

Dabei zeigt sich die Tourismusindustrie des Vielvölkerstaates ausgesprochen versiert, denn sicher nicht zufällig beginnt das Werbejahr mit drei hochkarätigen touristischen Fachveranstaltungen: Im Januar lud Bandung auf Java zum „ASEAN Tourismus Forum“ ein — einer Messe mit etwa 300 Ausstellern der Region und 250 geladenen Einkäufern. Das Forum findet seit 1981 statt und unter den Kunden waren knapp zehn Prozent Deutsche. Im April stehen noch der Reisemarkt der asiatisch-pazifischen Tourismus-Dachorganisation PATA sowie eine PATA-Konferenz auf dem Programm.

Derartig gerüstet sieht die indonesische Tourismusindustrie weiteren Wachstumsraten entgegen. 1990 brachten etwa 2,1 Mio. Touristen und Touristinnen 1,8 Mrd. US-Dollar in die Staatskasse. Damit lag die „weiße Industrie“ nach dem Export von Öl, Holz und Textilien bereits an vierter Stelle der Devisenbringer. Bis 1994 soll sie nach den Vorstellungen von Tourismusminister Soesilo Soedarman an zweiter Stelle stehen.

Planung und Management allein schaffen indes noch keinen prosperierenden Fremdenverkehr. Sonne, Strand, eine Infrastruktur, Kultur und Exotik zum Anfassen sind weitere wichtige Voraussetzungen. Auch das kein Problem, damit kann die Inselrepublik, die sich über eine Entfernung vergleichbar der von Lissabon nach Moskau ausdehnt, ebenso aufwarten.

Indonesien ist ein typischer Vielvölkerstaat und damit ein Produkt des niederländischen Kolonialismus. Die Europäer hatten dort im 17. Jahrhundert ungezählte Völker und Kulturen unter einer Herrschaft vereint, von denen viele zuvor kaum miteinander in Kontakt standen. Besonders kraß waren die kulturellen Unterschiede zwischen den Malaien auf den westindonesischen Inseln und den Melanesiern im Osten. Zudem gibt es auf vielen Inseln sogenannte altmalaiische Völker, die lange vor den heute dominierenden Malaien das Archipel besiedelt haben und im Laufe der Zeit immer weiter zurückgedrängt wurden.

Aushängeschild kulturelle Vielfalt

Nach der Unabhängigkeit, die 1945 proklamiert und vier Jahre später von den Niederländern offiziell anerkannt worden ist, setzte die neue Elite, die überwiegend aus Javanern bestand, den Verbleib der Kolonialgrenzen gegen diverse Befreiungsbewegungen im Osten durch.

Ein Blick in die Prospekte der staatlichen Fremdenverkehrsbüros sowie in die Kataloge der Reiseveranstalter verdeutlicht, daß die kulturelle und landschaftliche Vielfalt bis heute einen wichtigen Reiz für den Indonesientourismus ausmacht. Ein paar Kostproben: „Die Torajas sind sowohl für ihre reichverzierten Langhäuser als auch für ihre Bestattungszeremonien und -bräuche berühmt ... Ausflüge in dieses Gebiet werden regelmäßig durchgeführt“ (Staatliche Fluggesellschaft „Garuda“). „Begeisternd auch die Menschen in Nusa Tenggara in ihren paradiesischen Siedlungen; die Pfahlbaudörfer der Fischer und Perltaucher oder die abgelegenen unvorstellbar schönen Sumba-Dörfer mit ihrer noch völlig intakten megalithischen Kultur und einzigartigen Ikat- Weberei“ („Marco Polo-Reisen“). „So haben sie (Bewohner der kleinen Sunda-Inseln; Anm. K.L.) vielfach bis auf den heutigen Tag ihre animistischen Gebräuche beibehalten, den Glauben an die ,Nitu‘, die Geister der Ahnen, denen auch heute noch Blutopfer dargebracht werden“ („Studiosus-Reisen“). „Dschungel, imposante Berglandschaften, ein mysteriöser See, Urwaldflüsse, unbekannte Volksstämme erwarten die Besucher. Der zentrale Inselteil bietet unberührte Urwaldlandschaften von beeindruckender Schönheit: spitze Vulkankegel, die verkarstete Bergplateaus überragen, wildzerklüftete Dschungelberge und geheimnnisvolle, schwer zugängliche Täler mit steinzeitlichen Menschen“ („Ikarus-Reisen“). „Auf der Hauptinsel Siberut leben heute noch etwa ein Dutzend verschiedener Stämme, von denen sich insbesondere die Sarareiket in die schwer zugänglichen Gebiete des Inselinnern zurückgezogen haben, um hier den von ihnen als Zwang empfundenen Gesetzen und Fortschrittssegnungen zu entgehen“ („Ikarus-Reisen“).

Natürlich erscheint es höchst fragwürdig, wenn europäische Reiseveranstalter kleinen Völkern nachspüren, die den „Fortschrittssegnungen“ zu entgehen trachten, doch gegen eine gleichberechtigte Begegnung mit fremden Kulturen ist sicher nichts einzuwenden. Schließlich werben auch andere Staaten mit kultureller Vielfalt — sofern es sie noch gibt.

Repressive Einheit statt Vielfalt

In Indonesien bekommt die touristische Exotik jedoch einen besonders faden Beigeschmack, über den sich Reiseveranstalter und Fremdenverkehrsbüros hartnäckig ausschweigen: Die herrschende Militärregierung betrachtet kulturelle Vielfalt kaum mehr als eine Kulisse, um an die begehrten Devisen heranzukommen. Sobald die verschiedenen Völker aus ihrer Eigenständigkeit eigene Rechte ableiten und Autonomie und Selbstverwaltung fordern, trifft sie die ganze Macht des hochgerüsteten Militärapparats. Zwar lautet das Staatsmotto „Einheit in der Vielfalt“, doch in der praktischen Politik dominiert die Einheit eindeutig über die Vielfalt.

Die melanesischen Papua im Osten des indonesichen Machtbereichs bekommen das besonders zu spüren. 1969 diente ein von der Militärregierung manipuliertes Referendum — bei dem 1.025 ausgesuchte Papua öffentlich über die Zukunft der Inselhälfte abstimmen mußten — als Rechtfertigung für die Annektion des Territoriums. Seitdem wehrt sich die Papua-Befreiungsbewegung OPM gegen den übermächtigen Gegner. Der international isolierten und primitiv bewaffneten OPM sagten Experten nur eine kurze Lebensdauer voraus, doch der Kampf geht nun schon über 20 Jahre, weil die Bewegung große Teile der Bevölkerung hinter sich weiß. Die Zivilisten leiden am meisten unter den Kämpfen. Etwa 150.000 Papua sind den indonesischen Kriegsverbrechen bislang zum Opfer gefallen.

Für die Tourismusindustrie sind die Papua besonders dankbare Objekte, an denen zivilsationsmüde Europäerinnen und Europäer ihre exotische Neugier befriedigen können. Studien- und Expeditionsveranstalter tüfteln jedes Jahr neue Pläne aus, um im harten Konkurrenzkampf die Nase vorn zu haben. Sogar kleinere Unternehmen, die bisweilen ihr angeblich umwelt- und sozialverträgliches Programm herausstellen, wollen nicht länger abseits stehen. Jüngstes Beispiel sind die „Studenten- und Schülerreisen e.V.“ (SSR) aus Hamburg, die pünktlich zum Indonesien-Jahr einen Trip „zu Fuß durch die Steinzeit“ anbieten. Gemeint ist West-Papua, oder Irian Jaya, wie die indonesische Regierung sagt. Zur Geschichte heißt es lapidar: „Irian Jaya, früher eine holländische Kolonie, gehört seit 1969 zu Indonesien.“ Etwas reißerischer wird SSR beim Zielgebiet: „Als Besucher erlebt man das größte noch intakte natur- und kulturhistorische Museum der Erde. Eine Reise in diese hochinteressante Region wird kein Besucher vergessen können.“ Verantwortlich für diesen Ausverkauf bedrohter Völker ist vor allem der ehemalige Camel-Trophy-Betreuer Werner F. Weiglein, seines Zeichens Tropenmediziner aus der Umgebung von Frankfurt.

In anderen Teilen Indonesiens mit ethnischen Minderheiten — die zumeist regionale Mehrheiten sind — betreibt die Regierung eine weniger spektakuläre, aber ähnlich effektive Assimilierungspolitik. Sie siedelt dort Menschen aus Java, Bali und Lombok an. Offiziell wird das Programm mit der Überbevölkerung der zentralen Inseln begründet, doch Stellungnahmen der herrschenden Miliätrs machen deutlich, daß es um mehr geht. Auf einem nicht-öffentlichen Jugendseminar der „Golkar- Partei“ (des pseudodemokratischen Arms der Armee) erklärte der für die Transmigration zuständige Minister Martono unverblümt, durch das Umsiedlungsprogramm sollten die verschiedenen ethnischen Gruppen verschwinden und eine einheitliche indonesische Nation entstehen. Mit Ausnahme kleiner Reservate versteht sich, in denen sich die „Steinzeitvölker“ dann begaffen lassen dürfen. Der Tourismusindustrie wäre damit vermutlich Genüge getan, denn irgendwelche kritischen Äußerungen an der indonesischen Assimilierungspolitik sind dort noch nicht gefallen.

Vertreibungen im Dienst des Tourismus

Für die Menschen in Indonesien bleibt vom touristischen Kuchen kaum etwas übrig. Wenn sie den Plänen der „weißen Indsutrie“ im Wege stehen, ziehen sie ohnehin den kürzeren. So wurden in den siebziger Jahren einige hundert Familien in der Umgebung des alten buddhistischen Heiligtums Borobudur (bei Jokjakarta in Zentraljava) umgesiedelt, weil dort ein Tourismuspark entstand.

Ähnliches droht jetz 165 Bauerfamilien in der Region Paranggupito, an der Südküste von Zentraljava. Auf ihrem Gebiet will das Unternehmen „PT Batik Keris“ ein touristisches Luxusressort errichten, das 500 Hektar umfassen soll. Das Unternehmen, das zu den größten Batikherstellern der Welt zählt, hat den Familien 100 bis 175 Rupiah pro Quadramteter für ihr Land geboten. Das ist kaum mehr als 10 Prozent des staatlich festgelegten Preises, der bei 1.000 Rupiah liegt. Weigern sie sich, das klägliche Angebot zu akzeptieren, droht ihnen die entschädigungslose Enteignung.

Von der Regierung können die Menschen keine Hilfe erwarten, denn bei der weitverbreiteten Korruption setzt sich immer die Partei durch, die am besten schmiert, und das ist natürlich das Batikunternehmen. Darüber hinaus arbeiten Regierung und Tourismussektor ohnehin Hand in Hand, denn die „weiße Industrie“ will schließlich nicht nur den Staatshaushalt, sondern auch das Ansehen Indonesiens vebessern. So erklärte Theo Polii, der Direktor des indonesischen Fremdenverkehrsbüros in Franfurt, in einem Interveiw Anläßlich des ASEAN Tourismus Forums: „Wir erwarten selbstverständlich einen großen Erfolg. Aber das ,Visit Indonesia Year‘ soll nur der Anfang sein. 1991 geht es uns vor allem darum, der Welt zu zeigen, welchen Fortschritt unser Land in 45 Jahren seit der Unabhängigkeit erreicht hat ...“