Ein weiterer Rücktritt

■ Detlef Michels Brief an den Vorsitzenden des VS, Uwe Friesel

Berlin, 21.3.1991

Lieber Uwe,

die Kampagne der PDS gegen den Brief, den der Bundesvorstand des VS an 23 Autoren mit der Empfehlung verschickt hat, sie mögen ihren Antrag auf Mitgliedschaft vorerst zurückstellen, ist vorbei. Was wir im 'Neuen Deutschland‘ lesen mußten , will ich nicht wiederholen. Wir waren naiv. Wir haben leise Scham erwartet und bekamen lautes Kläffen zu hören.

Auf zwei Argumente möchte ich aber eingehen, da sie auch von Besonnenen vorgebracht werden. Rolf Schneider hat sie gerade im 'Tagesspiegel‘ wiederholt.

Erstens: Jener Brief vergelte Gleiches mit Gleichem. Das ist ganz einfach falsch, denn es ist nicht das Gleiche, ob Autoren (wie 1979 geschehen) aus dem Schriftstellerverband der ehemaligen DDR ausgeschlossen wurden, so daß sie faktisch einem Berufsverbot unterworfen waren, oder ob man die Täter von damals heute bittet, mit ihrer Mitgliedschaft im VS ein bißchen zu warten. Das Argument erleichtert die Taten, macht sie zu Kavaliersdelikten, über die wir generös hinwegsehen sollen.

Zweitens: Der Brief stelle eine Ausgrenzung dar. Du hast dagegen äußerst defensiv geredet, was mich überhaupt nicht überzeugt. Hätte ich die Möglichkeit, kraft Amtes im VS Dich aus dem Verband zu treiben, die Veröffentlichung Deiner Bücher zu verhindern, Dich außer Landes zu jagen, müßte der Verband um seiner moralischen Glaubwürdigkeit und demokratischen Legitimation willen das verhindern. Er müßte mich so schnell wie möglich rauswerfen; er müßte mich ausgrenzen!

Als die ausgefüllten Antragsformulare auf unseren Tisch beim Berliner Landesvorstand flatterten und das Politikum abzusehen war, stellte ich den Antrag, daß die Mitglieder, die im Schrftstellerverband der ehemaligen DDR vor der Wende Ämter innehatten, im VS für eine bestimmte Zeit kein passives Wahlrecht haben sollten. Ich wollte damit verhindern, daß Leute, die oben auf dem Podium saßen, gleich wieder oben sitzen können, aber irgendwelche satzungsrechtlichen Gründe erlaubten diese Regelung nicht. Schon damals mußte ich haargenau dieselbe Infamie über mich ergehen lassen, wie sie später im 'Neuen Deutschland‘ zu lesen war: Ich sei einer, der die Menschenrechte mit Füßen treten, der anderen Autoren den Beruf verbieten wolle.

Hingebungsvolle Einfühlung in die Befindlichkeit der Täter und penetrantes Schweigen über die Opfer — das war die Politik des Berliner Vorstandes. Literaturhäuser, Kulturvereine, Radiosendungen und literaturwissenschaftliche Seminare sind prall gefüllt mit Veranstaltungen zum Themenkreis Sozialismus, Utopie, Zensur, über das Verhältnis von Literatur und Staat. Im Berliner VS kein Wort. — Ich hatte keine Lust mehr, meine Zeit mit soviel Ignoranz zu verplempern und bin aus dem Vorstand zurückgetreten.

Die Kampagne der PDS ist vorbei, erfolgreich abgeschlossen. 18 der 23 Autoren, die in Berlin lebenden, hat dieser Landesverband aufgenommen. Der Fall ist da. Für den Berliner VS wird das keine Folgen haben, denn die sie bewirken könnten, haben den Verband längst verlassen. Mittelmaß, Funktionärsgebaren, Gschaftlhuberei bestimmen die Organisation, die einmal literarisches Renommee hatte. Stell Dir bitte vor, an der letzen Mitgliederversammlung hätten Grass, Schneider, Buch, Delius und und und teilgenommen. Mit dem Aufschrei blanken Entsetzens hätten sie Gewerkschaft Gewerkschaft sein lassen und wären geflüchtet, unter Mitnahme der einzigen Habe: der Literatur. Aber das geschah ja längst, und so ist, was jetzt passierte, nur die zwanghafte Wiederholung eines alten Konflikts auf dem Niveau der Klamotte.

Der alte Konflikt: Du sagst, jener Brief sei Sache der Moral, der Landesvorstand meint, er sei ein Verstoß gegen die Satzung. Beides stimmt und beides paßt nicht zusammen. Moral ist tatsächlich keine Sazungsfrage. So sind wir wieder bei dem alten Streit, in dem Literatur und Gewerkschaft nicht zusammenkommen, weil diese ohne Moral auskommt, jene aber ohne sie nicht denkbar und machbar ist. Da ist die alte Frage wieder: Was soll die Literatur in einer Gewerkschaft?

Darüber haben wir im vergangenen Jahr Briefe gewechselt. Ich schrieb Dir: „Hätten jene, die dem Verband den Rücken kehrten, einen autonomen Autorenverband außerhalb der Gewerkschaft gegründet, gäbe es den VS nicht mehr.“ Deine Antwort war hochinteressant: Damit könntest Du „nicht viel anfangen, nicht in diesem Moment“. Du mußt Dich fragen, ob der Moment jetzt da ist.

Und Du hast mir geschrieben: „Die Vorstellung, daß plötzlich wunderbar gewendete Aufpasser in der IG Medien oder gar im VS das Sagen hätten, ist so wenig akzeptabel wie eine Inquisition, die sich gegen jeden einzelnen richtet.“ Die Vorstellung ist Wirklichkeit geworden, und — da hast Du recht — sie ist unakzeptabel. Wenn Du noch zu Deinen Worten stehst, wirst Du dasselbe tun müssen wie ich: aus dem VS austreten.

Trotzdem schöne Grüße,

Dein Detlef Michel