SHORT STORIES FROM AMERICA

■ Über den Vorteil von Stereotypen

Ethnische Stereotypen sind wahr. Obwohl es nicht populär ist, es laut zu sagen: Ich sehe unsere eingefleischten Vorurteile täglich bestätigt. Man braucht nur die Zeitungen zu lesen, sie sind voller Beweise. Die Minderheiten sollten aufhören, gegen Stereotypen zu protestieren und anfangen, von ihnen Gebrauch zu machen. Denn wenn sie auftauchen, hat das immer einen Grund.

Zum Beispiel beschweren sich Gruppen, die für die Rechte der asiatischen Minderheiten in den USA eintreten, über das Theaterstück „Miss Saigon“. Sie sagen, daß die Geschichte über amerikanische Soldaten in Vietnam ein negatives Bild der Asiaten entwirft und daß an mindestens einer Stelle Asiaten als „Schlitzaugen“ bezeichnet werden. Ganz falsch. Man sollte nie so blöd sein, die Beschreibung für eine Aufforderung zu halten — will sagen: Den Rassismus irgendwelcher GIs zu zeigen, heißt noch lange nicht, ihr Verhalten gutzuheißen. Vom Zeigen solcher Stereotypen haben die Asiaten mehr, als wenn man auf sie draufhaut.

Dasselbe gilt für die Schwulen-Gruppen. Zur Zeit steht die Gemeinde wie ein Mann gegen den Film Silence of the Lambs, weil der Serienmörder darin, der gerne näht und Pudel liebt, angeblich dem Stereotyp eines psychopathischen homosexuellen Mörders entspricht. Ich hatte immer gedacht, Homosexuelle seien viel zu sehr mit ihrem Outfit und mit ihrer Frisur beschäftigt, als daß sie sich ernsthaft mit Blut, Mord und Totschlag abgeben könnten. Also ich weiß wirklich nicht, welchem Stereotyp dieser Killer entsprechen soll. In jedem Fall sind auch diese Proteste völlig fehl am Platz. Wir können, wie gesagt, von Stereotypen nur profitieren, vor allem die Minderheiten.

Nehmen wir zum Beispiel die vier weißen Polizisten aus Los Angeles, die einem unbewaffneten schwarzen Motorradfahrer das Gehirn herausgeprügelt haben. Man braucht nur an Cops zu denken, und an das Stereotyp — alles klar? Jemand, der in der Nähe der Schlägerei war, nahm sie auf Video auf und nun, nachdem auch noch ein jugendlicher Latino, der bereits in Handschellen war, von fünf weißen Polizisten in New York brutal zusammengeschlagen wurde, gibt es landesweite gründliche Untersuchungen über vorurteilsbedingte Brutalität in Polizeistationen. Ist doch reine Verschwendung von Steuergeldern. Jedermann weiß doch, daß weiße Jungs mit Schlagstöcken gerne schwarze Jungs verprügeln, vor allem, wenn es vier oder fünf gegen einen sind.

Oder man denke an den Studenten der Brown University, der vergangenen Monat suspendiert wurde, weil er die Kommilitonen mit diversen Juden-, Nigger- und Schwuchtel-Schimpfwörtern zu titulieren pflegte. Und zwar auch solche, die offensichtlich keine Juden, Afro-Amerikaner oder Schwule sind, was doch der Gleichberechtigung alle Ehre macht. Jedenfalls kommt der Junge aus einer der besseren amerikanischen Vorstädte, wo man nicht allzuviel Jüdisches, Schwules oder Schwarzes zu sehen bekommt. Man braucht nur an weiße Westen zu denken, und an das Stereotyp — genau das hätten die jüdischen Jungs, die Schwuchteln und Schwarzen auf dem Campus tun sollen. Es wäre doch weiter nicht schwer gewesen, die Studentenschaft daran zu erinnern, was für verwöhnte, egozentrische Country-Club-Mitglieder diese weißen Westen sind.

Was ich wirklich nicht verstehe, ist die Aufregung über die bevorstehende Ernennung des Richters Kenneth Ryskamp am Bundesappelations-Gericht in Florida. Es ist dauernd mit Diskriminierungsfällen beschäftigt und daher ausschlaggebend für den Schutz von Minderheitenrechten. Liberale haben Ryskamps Background erforscht, um zu beweisen, daß seine Objektivität als Richter bereits in früheren Ämtern durch Rassenvorurteile beeinträchtigt gewesen ist. Sie haben einen Fall von 1987 ausgegraben, bei dem eine Gruppe Schwarzer die Polizei von West Palm Beach verklagt hatte, während einer Fahndungsaktion ihre Hunde auf sie losgelassen zu haben. Ryskamp meinte in diesem Fall, daß es vielleicht eine gute Idee wäre, wenn die Schwarzen „einige Narben mit sich herumtragen“, um sie an ihre Verfehlungen zu erinnern — fragt sich, was sie denn falsch gemacht haben sollen.

Diese verdienstvolle Recherche der Liberalen ist das, was ich Overkill nenne. Ryskamps Country-Club wurde wiederholt in den Zeitungen in Südflorida vorgeworfen, daß sie keine Juden und keine Schwarzen aufnehmen. Man denke an weiße Westen, oder was immer sonst — zum Beispiel das Ernennungskommittee des Kongresses. Noch Fragen?

Der Wahrheitsgehalt von Minderheiten-Stereotypen wurde nirgendwo sonst so deutlich wie bei der St. Patrick Day's Parade. Eine Gruppe lesbischer und schwuler Iren wollte geschlossen in irischer Tracht mitmarschieren, aber die Organisatoren der Parade meinten, nur über ihre Leichen. Keine Schwulen und Lesben zugelassen. Ein halbes Dutzend Organisationen, einschließlich des Bürgermeisteramtes, mischten sich ein, bis ein Kompromiß erreicht wurde: Die Schwulen konnten in den Reihen einer heterosexuellen irischen Gruppe mitmarschieren, vorausgesetzt, daß sie auf ein Transparent verzichteten, daß ihre Identität preisgäbe. Um sie öffentlich zu unterstützen, lief Bürgermeister Dinkins mit ihnen mit, wofür er die Dreimeilenparade lang Bier, Bierdosen und üble haßerfüllte Beschimpfungen erntete.

Einige New Yorker waren fassungslos angesichts der Vorurteile der Iren, die selbst soviel von den Briten einstecken mußten. Man sollte meinen, sie hätten einiges Mitgefühl für andere unterdrückte Gruppen entwickelt. Das ist genau der Fehler, wenn man sich auf die Vernunft verläßt, statt auf das, was Stereotypen so reichhaltig liefern.

Die Iren in dieser Stadt sind wohlbekannt als wachsfarbene Alkigesichter, dessen einziger Verdienst darin zu bestehen scheint, ihre Frauen, Juden, Schwarze zu schlagen und sich damit bei der New Yorker Polizei anzudienen (siehe Cop-Stereotyp oben). Zu der Zeit, als meine Eltern in der Bronx aufwuchsen, liefen sie auf der anderen Straßenseite nach Hause, aus Furcht, daß ihre kleinen Judenbälger von den Söhnen Irlands Schläge einstecken könnten. St. Patrick's Day war niemals etwas anderes als der Tag, an dem rosige, übergewichtige Irenjungen auf der Straße Whiskey und Bier schlürften. Was also ist das Problem dabei? Denk irisch, denk stereotyp... Verkauf es gut. Es gibt niemanden, der sich als Amateur in Stereotypen versucht, der nicht seine eigenen Schwächen hat. Das wissen selbst Amateure.

PS. Man sollte nicht vergessen, daß wir in den Vereinigten Staaten gerade den Monat der Tiefkühlkost feiern.

Aus dem Amerikanischen von Christiane Peitz und Sabine Seifert

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