■ EDITORIAL
: Liebe taz-LeserInnen!

Diese Seiten unserer Zeitung sind Teil einer politischen Notlösung. Wir veröffentlichen hier die Klarnamen — so heißen die ganz normalen Ruf- und Familiennamen im Geheimdienstjargon — der „Offiziere im besonderen Einsatz (OibE)“, wie sie von den staatlichen Auflösern des früheren Ministeriums für Staatssicherheit (MfS) im Frühjahr letzten Jahres anhand der Gehaltsabrechnungen für 1989 aufgelistet wurden. Dieses Material — in dem durchaus auch mögliche, vom MfS beabsichtigte Falschangaben enthalten sein können — stammt aus einer authentischen Quelle. Davon haben wir uns überzeugt. Um Mißverständnissen vorzubeugen: Der Datenschutz bleibt für uns ein genereller Anspruch. Das Recht auf eine respektierte Privatsphäre hat jeder. Was ist aber privat an einem Arbeitsverhältnis beim Staatssicherheitsdienst?

Seiten, die aussehen wie ein Telefonbuch, gehören nicht zur Normalausstattung der taz. Eine solche Veröffentlichung braucht besondere Gründe, und die werden uns täglich geliefert. Beispielsweise die Berichte über angeblich noch bestehende Stasi-Seilschaften, die das Vermögen und Know- how aus ihrer guten alten Zeit als Karrieresprungbrett zu nutzen verstehen. Oder die politischen Eiertänze um prominente Doppelnamenbesitzer wie de Maizière/Czerni oder die Gerüchte darüber, daß ehemalige Stasi-Angehörige erpreßt werden. Und auf der anderen Seite steht eine „Behörde Gauck“, die darum ringen muß, den direkten Opfern der Stasi die eigene Akte zugänglich zu machen.

Das Ministerium für Staatssicherheit ist zwar aufgelöst, aber die Stasi-Vergangenheit ist zählebig und wirkt weiter. Entschärfen kann diese Situation nur eine radikale Offenlegung des gesamten Stasi-Zusammenhangs. Deshalb beteiligt sich auch unsere Zeitung daran, der Öffentlichkeit präzise Information statt Verschleierung, Verdrängung und Verharmlosung zu liefern. Für letztere Kombination scheinen sich die gewaltengeteilten Institutionen in diesem Land derzeit entschieden zu haben. Das erfordert es, dem Rechtsstaat, der eigentlich für die Lösung des Problems zuständig ist, auf die Sprünge zu helfen.

Vor Ihnen liegt also ein Dokument aus der jüngsten deutschen Vergangenheit. Die Auseinandersetzung mit Vergangenheit ist in unserem Land wahrlich keine leichte Übung. Wir sollten aber niemandem mehr erlauben, unsere Geschichte — denn sie betrifft uns für die Zukunft sicher gemeinsam — zu entpersonalisieren. Im Westen wie im Osten ist sie von Menschen gemacht worden, eben auch als Lebensgeschichte von einzelnen gelebt, erlitten und zu verantworten. Ohne Offenheit kann es keinen Abschluß dieser Etappe geben.

Es geht auch um die Debatte unserer politischen Kultur in Zukunft. „Offiziere im besonderen Einsatz“, was waren das für Leute? Die ganz Überzeugten, eine Elite, gar die besten Kommunisten, die letzte Auffanglinie gegen den Klassenfeind — so wird uns das Selbstbild vorgestellt. Die Menschen in ihrer Umgebung dürften sie heute anders sehen: Doppelexistenzen, auf Bespitzelung, Kontrolle und überraschendes Eingreifen nach irgendeinem Befehl eingeschworen. Was immer deren Politikverständnis hervorgetrieben haben mag, jetzt wird es nicht mehr gewollt. Auf so etwas wird man sich in der neuen Bundesrepublik politisch zu einigen haben. Denn wer glaubt, die Stasi sei ein strafrechtlich abwickelbares Problem, hat sich getäuscht. Georgia Tornow

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