Ostermarsch ausgelatscht

■ Stell dir vor, es ist Ostermarsch, und keiner geht hin

Ostermarsch — ausgelatscht Stell dir vor, es ist Ostermarsch, und keiner geht hin

Der innenpolitischen Themenflaute und der Macht der Mediengewohnheit sei Dank, daß sie überhaupt registriert wurden. Hätten die Nachrichtensendungen den Ostermärschen nicht den alljährlichen guten Listenplatz eingeräumt, man hätte sie übersehen, die kleinen versprengten Gruppen von Menschen, die an den Osterfeiertagen für Abrüstung und Frieden auf die Straße gingen. Von Oster-Märschen zu sprechen, wäre schon zu bombastisch, vielerorts war schon das Wort Demonstration übertrieben.

Die Friedensbewegung, während des Golfkrieges gerade erst für wiederbelebt erklärt, also schon wieder gestorben? Ein bloßes Strohfeuer nur, angefacht von der eigenen Angst und gut geschürt von klaren Frontstellungen gegen die USA und ihre Verbündeten in Bonn? Es wäre allzu billig, von der flauen Beteiligung an den diesjährigen Ostermärschen auf ein Kurzzeitgedächtnis und ein Desinteresse derjenigen rückzuschließen, die zu Hunderttausenden in den letzten Wochen, Tag für Tag, gegen den Krieg am Golf auf die Straße gegangen sind. Denn schon seit Jahren sind die Ostermärsche eine ritualisierte Pflichtveranstaltung, die — ähnlich wie der 1. Mai oder der Internationale Frauentag — nur noch Gähnen auslöst. Und die zahlreichen Aufrufe und angekündigten Reden von aufrechten Gewerkschaftern und Sozialdemokraten wirken da zusätzlich wie die Drohung eines Krankenpflegers mit der Beruhigungsspritze. Zahlreiche Gruppen, die sich im Zusammenhang mit dem Golfkrieg erst bildeten, haben sich dieses Jahr den Ostermarschierern angeschlossen, deren Hauptforderungen mit den Parolen auf den Transparenten der Golfkriegsgegner identisch waren. Trotzdem bleibt die Institution Ostermarsch eine über die Jahre mehr und mehr ausgelatschte Tradition. Und die läßt sich auch durch die Nähe zu aktuellen Ereignissen kaum wieder beleben. Zu Recht weigerten sich gerade die Schüler, die scharenweise gegen den Golfkrieg spontan auf die Straße zogen, in diese leblose Hülle des verordneten Engagements zu schlüpfen.

Doch auch wenn der Ostermarsch kein Gradmesser für Kriegsgegnerschaft und Friedensengagement ist, läßt sich kaum leugnen, daß der Golfkrieg auch für Resignation, Desorientierung und Verschiebung von politischen Koordinatensystemen gesorgt hat. Mit einer langfristigen Einbindung der Hunderttausenden auf den Straßen in eine wie auch immer geartete Bewegung konnten nur politische Berufsoptimisten ernsthaft rechnen. Doch die unmittelbare Erfahrung eines Krieges mit bundesdeutscher Beteiligung vor der eigenen Haustüre hat zahlreiche kleine Gruppen gegen Rüstungsexporte und Militarismus aktiviert und die Zahl der Kriegsdienstverweigerer in bisher nicht gekannte Dimensionen klettern lassen. Wenn diese Verweigerungswelle auch in den nächsten Monaten anhält, dann sind diese Zahlen eine deutlichere Demonstration als das bemühte Ostermarsch-Ritual. Vera Gaserow