Rolandraketen für Kraniche

■ Raketenschießen als Zingster Touristenattraktion/ Bürgermeister kippt um und befürwortet Bundeswehrübungsplatz/ Arbeitsplätze als Begründung

Feldjäger bot die Bundeswehr auf, um ihren Besitz vor dem Demonstrationsaufgebot zu schützen, das sich am Ostersonntag vor dem Tor der Zingster Kaserne versammelte. Ungefähr 500 BürgerInnen, darunter viele aus dem Berliner Raum und Schleswig-Holstein, protestierten gegen den von der Bundeswehr geplanten Raketenschießplatz, der sich in der Kernzone des Nationalparks „Vorpommersche Bodenlandschaft“ (taz vom 23.03.) befindet.Diese Region gehört zu den schönsten Naturschutzgebieten der Ostseeküste.

Die Forderung der DemonstrantInnen ist die Schließung des militärischen Objektes, das schon von der Wehrmacht und der NVA genutzt wurde. Sie sind zu keinen Kompromissen bereit und können der Logik des Übergangs der militärischen Besitztümer nicht folgen. Kaum löst sich der Warschauer Pakt auf, greift die Bundeswehr nach neuen Horizonten, oder wie in Zingst nach Natur. Der derzeitige Mangel an Feinden läßt die Übernahme und den Ausbau des Schießplatzes zu einem 800-Mann starken ROLAND-Raketen-Regiment um so widersinniger erscheinen.

Zingst, gelegen zwischen Bodden und Ostsee, muß, um überleben zu können, mit jedem Arbeitsplatz rechnen. Haupteinnahmequelle ist und bleibt der Tourismus, der auszubleiben droht, falls der Naturschutzpark zu einem militärischen Sperrobjekt erklärt wird und der Raketenlärm das idyllische Kleinod in einen Kasernenhof verwandelt.

Doch längst herrscht unter den Einheimischen keine Einhelligkeit mehr gegen die militärische Präsenz: Einige sehen in der Bundeswehr den großen Investor, der Arbeitsplätze schafft. Schon einmal brachte damals die Wehrmacht Wasser und feste Straßen nach Zingst. Und auch heute, so Bürgermeister Ehmke aus Plön (Schleswig-Holstein) vor den Demonstranten, gäbe es Kompromiß-Modell, welches beinhaltet, die Bundeswehr als „erheblichen Wirtschaftsfaktor“ für die Kommune nutzbar zu machen. Seine Äußerungen wurden von dem Gros der DemonstrantInnen mit Pfiffen quittiert, während hinter den Kasernengittern Beifall von den Zivilbeschäftigten ertönte. Einer von ihnen (Fassonschnitt) flüsterte zu seinem Nebenmann: „Früher habn'ses Maul auch nicht aufgemacht“.

Der Zingster Bürgermeister Werner Kuhn wähnt sich als Realpolitiker und strebt genau den von Ehmke vorgezeichneten Kompromiß an, weil er sich bei den „knallharten“ (Kuhn) Verhandlungen in Bonn von der Notwendigkeit der Übernahme überzeugen ließ. Jedoch muß er sich die Frage gefallen lassen, ob seine Entscheidung für den Erhalt des militärischen Standortes nicht schon viel früher gefallen ist, da er den Posten seines Bürovorstehers mit dem ehemaligen NVA-Kommandeur Krüger besetzte. Kuhn kann den Zusagen der Bundeswehr zwar glauben, wonach mindestens 100 Arbeitsplätze geschaffen werden, übersieht jedoch, daß Raketenschießen nicht als Urlauberattraktion zu vermarkten ist und der überwiegende Teil der Zingster im Tourismusgeschäft seine Existenz zu sichern hat. Michael Müller/Hendrik Röder