Gereizte Lobbyisten

■ Im Hauptstadt-Streit wird die Demontage des Bundespräsidenten versucht

Gereizte Lobbyisten Im Hauptstadt-Streit wird die Demontage des Bundespräsidenten versucht

Die Tonart im Hauptstadt-Streit wird schriller, infamer, schamloser. Die Verantwortung dafür trägt allein die Bonn-Lobby. Die Aggressivität entspringt aber nicht, wie man meinen könnte, einer Gefährdung der Mehrheit für Bonn. Nach wie vor spricht für diese Stadt die Gunst der Stunde, das Schwergewicht der materiellen Interessen und der ganze Immobilismus des Beamtenstaates. Aber, das lehrt die Lebenserfahrung, auf den Verteidigungsreflex der Habenden, insbesondere gegenüber ideellen Bedrohungen, ist Verlaß. Tatsächlich geht die Bonn-Lobby mit derselben Verve auf die Barrikaden wie ein Villenbesitzer, in dessen Nachbarschaft ein Heim für Asylbewerber droht. Sie glaubt offenbar selbst nicht mehr an die schönen allgemein-politischen Argumente, mit denen sie den Streit begann: Bonn als „Werkstatt“, als Ort des demokratischen Föderalismus — ihre schönen Schlagworte behandelt die Lobby nun selbst als Dekoration. Sie weiß eben instinktsicher, daß sie nur dann verlieren könnte, wenn der Streit ins Allgemein-Politische gerät. Also fällt sie jetzt vor allem Weizsäcker an, der sie gewissermaßen qua Amt mit allgemeineren Ansprüchen bedroht. Was gegenwärtig stattfindet, ist eine regelrechte Demontage des Bundespräsidenten. Der unbedeutende SPD-Abgeordnete Wallow fühlt sich ermutigt, ihn zum Rücktritt aufzufordern. Adolf Herkenrath (CDU) wirft ihm „Starrsinnigkeit“, recte Altersstarrsinn vor. Auch der CSU-Generalsekretär Huber spricht so und meint überdies, Weizsäcker müsse die „Konsequenzen“ für die Steuererhöhung tragen, die der kostspielige Umzug nach Berlin mit sich bringe.

Natürlich ist in einer Demokratie ein Bundespräsident nicht sakrosankt. Aber es muß entschieden dagegen protestiert werden, daß Lobbyisten einen Bundespräsidenten aus dem Amt zu treiben versuchen, nur weil er ihren Interessen nicht paßt. Vollends peinlich wird das Lamento der Bonn-Fraktion von der „Erpressung“ (Herkenrath) Weizsäckers; ganz zu schweigen vom trotzigen Aufbegehren jenes Gerhart Baum, der dem Bundespräsidenten ein „Wir-Haben-Keine-Führung-Nötig“ entgegenschleudert. Da fühlt sich jemand zurecht getroffen. Wenn jene Parlamentarier schon eine öffentliche, argumentative Stellungnahme für Erpressung halten, dann bestätigen sie nur, wie überzeugend seine Option für Berlin ist. Abgesehen davon, daß es mit dem Demokratie-Verständnis von Parlamentariern nicht weit her ist, die öffentlichen Druck schon als Bedrohung auslegen, braucht dieses Parlament ihn schon allein deshalb, um die innerparlamentarischen Druckverhältnisse auszugleichen. Dieser Bundestag, dessen Beitrag zur Gestaltung der Vereinigung im Absingen der Nationalhymne bestand, hat kaum den Anspruch auf einen besonderen Schutz vor öffentlichen Debatten. Die Bonn- Fraktion hat jedenfalls jetzt schon gezeigt, welcher Art der genius loci sein wird, falls das Parlament in Bonn bleibt. Und auch der richtige Nachfolger für Weizsäcker zeichnet sich bereits ab: Johannes Rau hat vorgeschlagen, bei einer Entscheidung für Bonn doch Berlin mit ein paar Plenarsitzungen und Dependancen zu versorgen. Dieses Air lobbyistischen Tauschhandels paßt gewiß besser in die künftige „Bonner Landschaft“.

Klaus Hartung