Frauenministerin unter Betonfeministas

■ Waltraud Schoppe versucht in Niedersachsen realpolitisch orientierte, pragmatische Frauenpolitik. Den als „Betonfeministas“ bekannten Parteifreundinnen ist ihre Politik jedoch zu wenig radikal. Die Frauenfrage als Kinderfrage — ein alter Grundsatzstreit lebt wieder auf.

Von Aufhören ist keine Rede mehr. Vor einem Jahr, als die Frauenministerin Waltraud Schoppe noch nicht einmal ein eigenes Büro hatte, da machte sie ihrem Unmut über den unmöglichen Einstieg schon mal Luft und versprach: „Wenn ich tatsächlich für die Frauen nichts verändern kann, dann höre ich auf.“ Heute lehnt sie sich entspannt in ihr Ministerinnensofa zurück und erklärt: „Das ist doch ganz schön, was wir hier erreicht haben, so für den Anfang.“

Waltraud Schoppe ist inzwischen die einzige grüne Frauenministerin. In Berlin wurde der rot-grüne Senat abgewählt, in Hessen wird die SPD-Politikerin Heide Pfarr das Ministerium Arbeit und Frauen leiten. Die hessischen Grünen verzichteten nur allzu bereitwillig auf das „weiche“ Frauenressort. Tenor: Frauenministerien bringen doch sowieso nichts. Waltraud Schoppe findet es „unerhört“, wie es in Hessen gelaufen ist. Aber erstaunt darüber ist sie trotzdem nicht. Sie kennt den Laden, hat vor über zehn Jahren die Grünen mitbegründet und weiß, welchen ausgesprochen geringen Stellenwert die Frauenpolitik dort hat.

Aber läßt sich das tatsächlich nur mit männlicher Ignoranz erklären? Sagen nicht auch Frauen, wir hören und sehen viel zu wenig von Euch? Die Kritik nimmt sie gelassen. „Wir haben noch keine Geschichte. Wir müssen abwarten, was sich im Lauf der Zeit verändert, wenn so ein Ministerium erst einmal arbeitet.“

In der knapp einjährigen „Aufbauphase“ hat Waltraud Schoppe erreicht: ein Haus mit rund sechzig MitarbeiterInnen, darunter vier Männer, mit einem Gesamtetat von 63 Millionen D-Mark. In den Haushaltsverhandlungen wurde jetzt durchgesetzt, daß für Frauenprojekte erstmals 1,9 Millionen D-Mark zur Verfügung stehen, für Maßnahmen zur Reintegration von Frauen in das Erwerbsleben zwei Millionen. Weitere 1,2 Millionen werden Projekten zugute kommen, die bei Gewalt gegen Frauen beraten und helfen. Die dreißig niedersächsischen Frauenhäuser erhalten fast die doppelten Zuschüsse wie die Jahre unter der CDU-Regierung. 3,9 Millionen stehen ihnen nun zur Verfügung. Darüber hinaus erhielten die Mütterzentren einen warmen Geldregen. Statt bisher 50.000 D-Mark werden sie nun mit 400.000 D-Mark bedacht. Für niedersächsische Verhältnisse, so Staatsekretärin Christa Karras, seien diese Summen „bisher einmalig“. Vor allem angesichts der angespannten finanzpolitischen Situation — im Haushalt 1991 sollen 500 Millionen eingespart werden.

Waltraud Schoppe hat in Niedersachsen sicher nicht ideale Bedingungen für ihre Arbeit, auch ihr fehlt es in wichtigen Bereichen an Kompetenzen. So gelang es ihr zum Beispiel nicht, die Zuständigkeit über die Kindergärten dem Kultusminister abspenstig machen. Aber im Vergleich zu anderen Frauenministerien ist sie mit ihrem MitarbeiterInnenstab und ihrem Etat vergleichsweise gut gerüstet. In Schleswig-Holstein zum Beispiel, wo die SPD-Politikerin Gisela Böhrk das Frauenministerium leitet, gab es 1990 nur 18 Planstellen. Während in der Landeshauptstadt Kiel das Ministerium vor allem auf die Rolle der „Ideenlieferantin“ reduziert ist und auf den Goodwill der anderen Ministerien angewiesen, hat Waltraud Schoppe wiederum mehr „Unterbau“. So sind noch die Familienpolitik und Kinder- und Jugendschutz bei ihr angesiedelt. Für drei wichtige Gesetzesvorhaben hat sie die Federführung: ein Quotierungsgesetz für den öffentlichen Dienst, das noch vor der Sommerpause in den Landtag eingebracht werden soll, ein Gesetz zu ambulanten Schwangerschaftsabbrüchen und ein Gesetz zur Stellung der kommunalen Frauenbeauftragten.

Aber die vielbeschworene „Querschnittfunktion“ des Frauenministerium, die in der Koalitionsvereinbarung und in Gerhard Schröders Regierungserklärung gepriesen wird, die funktioniert nicht so, wie sie sollte. „Wenn am Dienstag Kabinettssitzung ist, und ich erhalte die Vorlagen erst am Donnerstag oder Freitag, ist es fast unmöglich, dazu etwas zu machen“, beschreibt die Ministerin die strukturellen Hindernisse ihrer Arbeit. Bezeichnenderweise sind es die von Männern geführten Häuser, die nichts herausrücken.

Waltraud Schoppe ist kein Typ fürs Jammern und Klagen. Sie ist auch ein Politikprofi, die weiß, was sie auf diesem Feld erwartet. Und trotzdem Spaß daran hat. „In der Opposition“, sagt sie, hatten wir viele Ideen. Jetzt aber kann ich versuchen, sie durchzusetzen, kann gestalten.“ Paragraph 218, Quotierungsgesetze — das sind für die 48jährige Grüne eigentlich nur „Hausfrauenarbeiten“, die ein Frauenministerium zu erledigen hat. Aber sie will eben nicht nur eine Politik der „Quantitäten“ machen und Gelder aus dem Haushalt verteilen, sondern vor allem die „Idee“, die hinter ihrer Arbeit steckt, präsentieren: „Es geht darum“, so erklärt sie mit ihrer ruhigen, eindringlichen, immer ein bißchen rauhen Stimme, „die unterschiedlichen Lebensentwürfe von Frauen zu stärken. Und die können sich sehr wohl von denen der Männer unterscheiden.“ Frauen sind für sie „Pionierinnen“ bei der Arbeitszeit, bei der Organisation des Alltags, Frauen seien mutiger als Männer, wenn es darum gehe, noch einmal „von vorne anzufangen“.

Da beschreiben ihre Hände große Bögen in die Luft, da ist sie ganz präsent. „Lebensentwurf“ ist eines ihrer Lieblingswörter, es fällt in jedem dritten Satz und könnte schnell zur Leerformel werden. Vielleicht ist die Vorliebe für „Lebensentwürfe“ aber auch mit der Biographie der Waltraud Schoppe zu erklären, die selbst die Energie hatte, so oft „von vorne“ anzufangen. Nach der Ausbildung zur Erzieherin war sie lange Zeit Hausfrau und Mutter, holte dann nach einer Begabtenprüfung das Abitur nach, studierte, engagierte sich in Basis- und Frauengruppen. Sie wurde Lehrerin und zog schließlich mit den Grünen in den Bundestag ein. Von ihrem langjährigen Partner hat sie sich getrennt, lebt jetzt mit einem ihrer erwachsenen Söhne in ihrem Haus auf dem Lande. Heute ist sie Ministerin und was danach kommt — das wird sich zeigen. Dabei hat Waltraud Schoppe durchaus Spaß an der Macht — auch wenn sie es nicht ausspricht, sondern lieber „gestalten“ sagt. Vielleicht sollten sich Feministinnen künftig den positiven Machtbegriff der Philosophin Hannah Arendt zu eigen machen, die Macht als Beziehung zwischen Handelnden definiert — als schöpferische Funktion, die den öffentlichen Raum des Politischen überhaupt erst stiftet und erhält. Unumstritten ist Waltraud Schoppe keineswegs. Vielen Fundifrauen in der Partei ist zu „kompromißlerisch“, und zu sehr auf die „Kinderfrage“ fixiert. Während für die eine Strömung bei den Grünen Frauen die Aufhebung der „geschlechtshierarchischen Arbeitsteilung“ programmatisches Ziel ist, die mit Maßnahmen wie Quotierung, radikaler Arbeitszeitverkürzung und Kinderbetreuung die Frauen von der doppelten Bürde von Erwerbs- und Familienarbeit befreien soll, steht Waltraud Schoppe für eine realpolitisch orientierte, pragmatische Politik, die sich eher am gesellschaftlichen Ist-Zustand, denn am Sollzustand ausrichtet. Beispiel: Angebote zum beruflichen Wiedereinstieg für Frauen soll es in Niedersachsen erstmals in Teilzeit geben. Waltraud Schoppe begründet das mit der Schwierigkeit von Frauen, sich nach einer langen Familienphase sofort den Freiraum zu erobern, den ganzen Tag außer Haus zu sein.

Diese Art von Politik ist vielen Frauen in der Partei nicht radikal genug. Da müssen Forderungen möglichst „unverwässert“ immer und immer wieder präsentiert werden, Politik beschränkt sich auf oppositionelle Besserwisserei. Besonders die innerparteilich als „Betonfeministas“ bekannten Frauen der niedersächsischen Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) sahen in Waltraud Schoppe eine Art Beelzebuba und bekämpften vehement ihre Kandidatur. Vor ein paar Wochen löste sich die LAG mit der Begründung auf, in Niedersachsen werde keine Frauen-, sondern inzwischen nur noch Familienpolitik betrieben. Jüngstes Paradebeispiel der Kritikerinnen: Schoppe habe es an Engagement für ein Mädchenhaus fehlen lassen und sich öffentlich stärker für ein Kinderschutzzentrum eingesetzt. Dabei wird es in Niedersachsen beides geben, ein Kinderschutzzentrum und ein Mädchenhaus, beide werden mit annähernd 300.000 D-Mark aus dem Frauenministerium finanziert. Aber das will Karen Benda, die vom Landesvorstand der niedersächsischen Grünen zurücktrat, nicht gelten lassen. Waltraud Schoppe sei in der Öffentlichkeit eben mehr mit dem Kinderschutzzentrum identifiziert worden. Auch daß die Frauenministerin sich aus dem Sozialministerium die Bereiche Familie und Kinder- und Jugendschutz holte, hält die grüne Landespolitikerin für falsch. Denn Frauen würden gesellschaftlich ohnehin mit der Familien- und Mutterrolle identifiziert, ein „reines“ Frauenministerium hätte dagegen die Eigenständigkeit von Frauen und ihrer Politik signalisiert.

Hier ist die Politikkonzeption der Waltraud Schoppe allerdings eine gänzlich andere. Familie ist für Waltraud Schoppe nicht das klassische Modell, sondern die ganze Vielfalt: Alleinerziehende, Wohngemeinschaften, Partnerschaften ohne Trauschein. Credo ihrer Politik: Frauen sollen sich den Wunsch nach Kindern erfüllen können, ohne Nachteile zu haben, ohne „abgehängt“ zu werden — ein Satz, der so fest zu ihrem Repertoire gehört wie die rote Hennamähne zu ihrem Äußeren.

In einer Diskussion mit der „Basis“ in Lüneburg, auf Einladung der grünen Frauengruppe, wird ihr aus dem Publikum wieder einmal vorgehalten, sie stelle bei ihrer Frauenpolitik die Kinderfrage in den Mittelpunkt. Da kann sie dann abends um halb zehn, nach einem anstrengenden Arbeitstag, noch einmal in Fahrt kommen, weil sie spürt, hier geht es ums Grundsätzliche: Die meisten Erwachsenen, Frauen wie Männer, wünschten sich Kinder. Aber nur Frauen gingen in die „Mütterfalle“, weil die allermeisten Männer die Vaterrolle überhaupt nicht anzunehmen bereit wären.

„Machen wir uns doch nichts vor“, sagt sie energisch, „es gibt doch längst zwei Gruppen von Frauen.“ Die einen hätten bewußt auf Kinder verzichtet, um im Beruf erfolgreich sein oder seien alt genug, um durch die Kinder nicht mehr behindert zu sein. „Aber im ganzen Mittelfeld sind die Frauen eingeengt. Männer leben in Familien, agieren aber, als ob sie unabhängig wären. Männer können im Alltag negieren, daß auch sie es waren, die Kinder wollten. Deshalb brauchen wir eine spezielle Politik für Mütter.“ Schließlich bekommt sie langen, anerkennenden Applaus für diesen Abend. Das ist einfach ihre Stärke: mit Leuten reden. Da kommt ihre Lebenserfahrung zur Geltung, ihr Witz und ihre Spontaneität.

Da ist sie grüne Ministerin und kommt bei den Frauen und Männern aus politisch anderen Ecken besser an als bei ihrer eigentlichen Klientel, den Frauen der autonomen Projekte zum Beispiel. Da bestimmmen atmosphärische Störungen die Beziehungen. In Hannover streikten vor kurzem vier der wichtigsten Frauenprojekte, um bei der Stadt die finanzielle Absicherung ihrer Arbeit durchzusetzen. Vermißt haben die Frauen ein Zeichen der Unterstützung durch „ihre“ Ministerin, und wenn es nur ein Telegramm oder Grußwort gewesen wäre. „Für uns hat sich mit rot-grün bisher wenig verändert“, sagt Gudrun Lange vom Hannoveraner „Frauentreffpunkt“, einem Beratungs- und Therapiezentrum. Schoppe sei einfach zu wenig „sichtbar“ als Frauenministerin, auch hier muß der mangelnde Einsatz für das Mädchenhaus als Beweis herhalten.

„Vor Ort ist die Ungeduld natürlich groß“, sagt Staatssekretärin Christa Karras. In Niedersachsen habe es über so viele Jahre eine Durststrecke für Frauenprojekte gegeben, da sei es nicht einfach, erneut warten zu müssen. Die Wissenschaftlerin Christa Karras, selbst jahrelang im Frauenzentrum Braunschweig aktiv, war für die grünen Basisfrauen die Wunschkandidatin, mußte aber zugunsten von Waltraud Schoppe zurückstecken. Wie geht es ihr heute unter der „Reala“ Schoppe? „Es gibt Unterschiede, aber wir haben es bisher immer geschafft, uns zu einigen. Die Zusammenarbeit klappt“, sagt sie wie aus der Pistole geschossen und voller Selbstbewußtsein, „weil wir beide das Frauenministerium zum Erfolg bringen wollen.“

Waltraud Schoppe ihrerseits ist in ihrem Urteil zurückhaltender. „Ich versuche, Konflikte so früh wie möglich anzusprechen, damit sich nichts aufstauen kann“, sagt sie zu ihrem Stil, das Haus zu leiten. Das erfordert ohnehin Feingefühl, psychologische und soziale Kompetenz. Schoppe muß eben nicht nur mit Christa Karras zusammenarbeiten, sondern auch mit der Exfrauenbeauftragten, der CDU-Frau Antonia Wigbers, die jetzt Abteilungsleiterin ist. Dann erzählt sie, mit Schalk in den Augen, selbst die vier Männer, die vom Sozialministerium übernommen wurden, hätten ihr erst kürzlich versichert, wie wohl sie sich fühlten.

Noch einer macht die Zusammenarbeit offensichtlich Spaß: Katja Oltmanns, 24 Jahre jung und erste Chauffeuse eines ministeriellen Dienstwagens. Für die Fahrt nach Lüneburg hat sie der Chefin ein Picknickköfferchen gepackt, die Ministerin kann sich nicht genug darüber freuen. Es dürfte der erste Dienstwagen der Republik sein mit einer Atmosphäre weiblicher Intimität, die nur entsteht, wenn Frauen unter sich sind und sich schätzen. Helga Lukoschat