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Stadt der 150 Kaninchenjäger

■ Nach den Schokoladenhasen der bremischen Feldhasen gedenken

Die Osterferien sind vorbei. Die Schokoladenhasen aus den Regalen der Geschäfte entfernt beziehungsweise in Kindermündern verschwunden. Zeit also, einmal an die echten Hasen in unserem Stadtstaate zu denken. Wie ergeht es ihnen hier und ihren Cousinen und Cousins, den Kaninchen? Die taz befragte zu diesem Zweck Jäger und Gartenbauer.

Hinrich Behrens (zuständig für die Unterhaltung der Grünanlagen im Gartenbauamt) kurz und knapp: „Hasen sind für uns kein Problem. Die sind in der Regel nicht mehr in der Stadt.“ Ein Problem, ja eine „Plage“ sind ihm dafür die Kaninchen — und zwar „im gesamten städtischen Bereich“. Denn Bremen hat Sandboden, in Bremen können sich die Kaninchen (kleinere Körper, kürzere Ohren) wunderbar ihre tiefen Erdbauten anlegen. Außerdem haben die Kaninchen — von Jägern einmal abgesehen — wenig natürliche Feinde im innerstädtischen Bereich. Iltis und Marder sind vertrieben. Löwenzahn als Hauptnahrungsmittel dagegen ausreichend vorhanden, genauso wie Unterschlupfmöglichkeiten: Sportplätze, Lagerplätze von Firmen, Gerümpelecken in privaten Gärten, zehn Zentimeter schmale Randstreifen hinter Schuppen: „Da hausen die und vermehren sich wunderbar“, wie Behrens erklärt. Ein Sportplatz in der Landwehrstraße war nicht mehr bespielbar, nachdem Kaninchen dort gebuddelt hatten. Etliche Bahndämme und Deiche sind bereits unterminiert. Auch auf Friedhöfen halten sich die Kaninchen schadlos, dort haben sie „herrlich leichtes Buddeln bis auf den Sarg runter“, wie Gartenbauer Behrens weiß. Sein Amtskollege Gerlitz präzisiert: „Nelken mögen sie sehr gerne, Chrysanthemen auch. Und hin und wieder Stiefmütterchen.“ Auf 20.000 wird die Zahl der bremischen Kaninchen geschätzt. Gegenwärtig grasssiert unter ihnen jedoch eine tückische Kaninchenseuche: die Myxomatose, die bis zu achtzig Prozent ihres Bestandes dahin rafft.

Ein Kleingärtner klagt der Innenbehörde:„Ich bitte um Bekämpfung der derzeit überhand nehmenden Kaninchen, die meinen Garten in eine nicht mehr benutzbare Kraterlandschaft verwandelt haben. Mein Grundstück ist mit einem etwa 1,20 Meter hohen Maschendrahtzaun eingefriedet ist, den die Kaninchen durch Überspringen überwinden. Vielleicht gelingt es ihnen ja, noch vor dem nächsten Winter für Abhilfe zu sorgen. Da Lokalwahlen ins Haus stehen, bin ich da doch einigermaßen zuversichtlich.“

Dem Gesetze nach dürfen die Kaninchen das ganze Jahr bejagt werden. Das Bremische Stadtgebiet ist in rund 200 „befriedete Bezirke“ aufgeteilt, in dem 150 Jäger auf die Pirsch gehen. Im Landesjagdgesetz steht zudem zu lesen, daß „jedermann“ auf seinem eigenen Grund und Boden „jederzeit Wildkaninchen fangen oder töten und sich aneignen“ darf. Wer Kaninchen schießen will, braucht jedoch die Genehmnigung der Innenbehörde. Zuständig ist dort Norbert Romanowski. Er weiß aus eigener Anschauung, daß Kaninchen „ein sehr schmackhaftes Wild, eine für den Verzehr geeignete Jagdbeute“ sind. Er entscheidet, „wie die Bejagung erfolgen soll“: ob Schrot, Kugelschuß oder mit Frettchen: „Ich plädiere dafür, daß grundsätzlich Jäger eingesetzt werden.“ Das Kaninchenjagen ist für ihn dabei ein „Dienst an der Gemeinschaft ohne Entgeld“.

Im Gegensatz zu den Kaninchen hoppeln die Feldhasen, wie der Name schon sagt, am liebsten durchs Feld. Sie wollen nichts als ihre Ruhe, ihren Schollenacker und ihre Wildkräuter. Bekanntlich findet sich voll all diesen Ökologisch-Natürlichem auch im bremischen Grünland nicht mehr viel. Romanowski spricht deshalb auch vom „Niedergang der Hasen“. Er kennt Jäger, die sich im Interesse an Hasen bereits dafür einsetzen, Biotope anzulegen. Für die jungen Märzhasen, die in den Wiesen liegen, sieht er nur geringe Überlebenschancen: Fischreiher, Bussarde, streundende Katzen, Gülle, Walzen, Kreiselmäher und Bauern. Damit scheint dem Feldhasen ein ähnliches Schicksal beschieden wie dem Schokoladenhasen: Eine kurze Saison. B.D.

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