Krise der politischen Klasse

■ Die Personaldebatte in der Lambsdorff-FDP: Anfang vom Ende

Krise der politischen Klasse Die Personaldebatte in der Lambsdorff-FDP: Anfang vom Ende

Personaldebatten beginnen in den Parteien gewöhnlich erst richtig, wenn von den Parteiführern dringend ihr Ende gefordert wird. Genschers Appell, die Debatte über Graf Lambsdorff, der im Herbst seine Wiederwahl als Parteivorsitzender anstrebt, zu beenden, läßt da einiges erhoffen. Der Streit um Lambsdorff, die Zweifel an der Rolle von Genscher, der Unmut über die Entscheidungen in kleinen Zirkeln, das alles schwelt schon lange. Lambsdorff insbesondere hat sich nicht nur zum Serientäter politischer Fehlleistungen entwickelt. Er hat auch in ungebrochener Forschheit ein Ausmaß an wirtschaftspolitischer Inkompetenz bewiesen. Als Sprecher des Wirtschaftsflügels konnte er immer wieder erfolgreich demonstrieren, wie unfähig gerade die Wirtschaftslobby ist, auch nur ansatzweise die Dimension der ökonomischen Umwälzung in der Ex- DDR zu erkennen. Er hat sich zu einer besonderen Spezies der Politik aus dem Bauch, aus dem Kapitalbauch entwickelt. Um welche grundsätzlichen Entscheidungen es sich auch handelte, ob es um das Primat Entschädigung oder Rückgabe, ob es um die Alternative Sanierung oder Privatisierung bei der Treuhand ging — eine erkennbare liberale Politik gab es da nicht, sondern nur Lautstärke. Und Genscher, der kaum besser als die Grünen von einst wahrgenommen hat, daß Deutschland als souveräner Staat unter neuen außenpolitischen Ansprüchen steht? Und Möllemann, der seine gedankliche Blöße durch Schnelligkeit verdeckt? Und?

Mit dem Führungsdebakel der SPD hat es angefangen und die Personaldebatte in der FDP setzt es nur fort: die gesamte politische Klasse Bonns gerät mit der Vereinigung in die Krise. Sie hat den politischen Machtzuwachs durch die Eingemeindung der DDR nicht verdaut. Der abrupte Anspruch, ein ökonomisches System umzubauen, Millionen Menschen gerade dann zur Partizipation zu gewinnen, wenn ihre bisherige Existenz zerbricht, kurzum die reale Forderung einer radikalen und umfassenden Gesellschaftsreform in der Ex-DDR hat die Bonner Politik skelettiert. Da ist weder konzeptionelle Substanz, noch auch nur ansatzweise Vorstellungskraft und Fähigkeit zur Vision. Die Vereinigung mit der Routine der Machterhaltung und mit sozialstaatlichem Opportunismus bewältigen zu wollen, konnte wohl nur in Bonn plausibel sein. Selbst am Mut zur politischen Führung gebricht es. Die Kohlsche Praxis des Aussitzens ist zum allgemeinen Habitus geworden. Was jetzt in den Parteien als Personalkrise aufbricht, sind die ersten Stöße der neuen deutschen Realität. Neue Politiker, geschweige denn eine neue Politik sind nicht in Sicht. Personaldebatten sind jetzt nur noch der letzte Versuch, sich einzubilden, man könne so weiter machen, unter Seinesgleichen. Klaus Hartung