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INTERVIEW„Politische Illusionen und Fehlkalkulationen“

■ Nayef Hawatmeh, entlassener Generalsekretär der Demokratischen Front zur Befreiung Palästinas (DFLP), rechnet mit der PLO ab

Nayef Hawatmeh, Begründer und langjähriger Generalsekretär der DFLP (Demokratische Front für die Befreiung Palästinas), wurde vorgestern vom Zentralkommitte der DFLP entlassen. Nachfolger ist sein bisheriger Stellvertreter Yassir Abed Rabu. Das nachfolgende Interview wurde Mitte März in Tunis geführt.

taz: Bereits in den frühen siebziger Jahren schlug die DFLP das Konzept einer Zwei-Staaten-Lösung vor, also die Gründung eines palästinensischen Staates in den besetzten Gebieten neben Israel — als man in den übrigen PLO- Organisationen darauf noch mit massivem Widerstand reagierte. Jetzt haben Sie sich aber gegen die Gespräche der palästinensischen Delegation aus den besetzten Gebieten mit US-Außenminister Baker ausgesprochen.

Nayef Hawatmeh: Die DFLP hat ein Treffen mit Baker befürwortet. Dennoch kam es nach langwierigen Beratungen führender PLO-Politiker am 9. März zu einem Mehrheitsbeschluß gegen dieses Treffen. Der Grund war, daß man darin einen Ausschluß der PLO aus einem zukünftigen politischen Verhandlungsprozeß sah. Also wurde Feisal Husseini und anderen Mitgliedern der Delegation aus Tunis signalisiert, daß man diese Zusammenkunft mit Baker nicht unterstützen werde. Ich habe mich gegenüber der Presse gegen meine Überzeugung an die offizielle Beschlußlage der PLO-Führung gehalten. Schließlich kann die PLO die Palästinenser in den besetzten Gebieten nicht von Tunis aus wie eine Herde von Schafen mal in die eine und mal in die andere Richtung treiben.

Warum hat die PLO sich sehr bald nach dem Beginn der Golfkrise vor den Karren der irakischen Politik spannen lassen?

Unmittelbar nach dem Einmarsch der Iraker nach Kuwait haben sich führende Politiker der PLO zu Beratungen zusammengefunden: Arafat, Qaddumi, Abu Ijad und andere, auch ich. Wir einigten uns darauf, daß die PLO sofort ihr Möglichstes tun muß, um Saddam Hussein schnellstens zum Rückzug aus Kuwait zu bewegen. Natürlich mußten wir damit rechnen, daß eine solche Mission keinen Erfolg haben würde und daß es zu einer Spaltung der arabischen Staaten in zwei Lager kommen würde. Für diesen Fall beschlossen wir, daß die PLO gegenüber diesen beiden Lagern strikte Neutralität wahren müßte. Darauf haben vor allem Abu Ijad und ich bestanden. Es wurde dann beschlossen, daß wir in einer Delegation nach Bagdad reisen würden, um mit Saddam Hussein zu sprechen. Dazu kam es nicht. Yassir Arafat ist allein gereist.

Nicht nur die irakische Regierung hat sich Illusionen über die Folgen ihrer Politik und über den Ausgang dieses Krieges gemacht. Es gab auch andere, und zu ihnen gehörte Yassir Arafat. Am 14. Januar hat er in Bagdad eine Pressekonferenz abgehalten, auf der er erklärte: Es wird keinen Krieg geben. Dreimal hat er das wiederholt. Am 16. Januar war ich hier in Tunis. Bis zum letzten Moment hat Arafat darauf bestanden, daß es keinen Krieg geben wird, während ich das Gegenteil behauptet habe. Während wir diskutierten, hörten wir den Korrespondenten von CNN im Fernsehen: „Ich spreche aus Bagdad zu Ihnen. Der Krieg hat begonnen.“ Es hat eine Menge politischer Illusionen und Fehlkalkulationen gegeben. Es gibt ja auch jetzt noch Palästinenser, die sagen, die Iraker hätten einen Sieg errungen, weil sie „nein“ zu Amerika gesagt hätten. Aber wir müssen doch realistisch sein und unserem Volk die Wahrheit sagen!

Braucht die PLO eine Perestroika?

Nach dem Ende des Kalten Krieges und nach dem Ende der Golfkrise muß in der arabischen Welt eine Demokratisierung stattfinden. Sonst wird die Situation hier immer unerträglicher, insbesondere für die Palästinenser. In der Golfkrise hat sich gezeigt, daß kollektive Entscheidungen nicht respektiert wurden. Wir wollen keine ideologische, sondern eine politische und organisatorische Perestroika. Ich sage Ihnen ganz offen, daß der rechte Flügel der PLO im Augenblick auch kein Treffen des Palästinensischen Nationalrates stattfinden lassen will. Die DFLP hat schon mehrfach gefordert, daß das Parlament unbedingt zusammentreten muß. — Die PLO braucht eine demokratische Reform. Sonst wird sie in unserem Volk keinen Bestand haben.

Interview: Nina Corsten

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