Linke Doppelmoral-betr.: "Farbenfroh ins Massengrab" und "Something Got to Give", taz vom 28.3.91

betr.: „Farbenfroh ins Massengrab“ und „Something Got to Give“, taz vom 28.3.91

Der vermeintlich kritische Artikel [„Farbenfroh ins Massengrab“] ist meiner Meinung nach Ausdruck eines scheinheiligen linken Puritanismus; er strotzt nur so vor „Entsetzen“, „ethischen und moralischen Grundsätzen“ und Bedenken, um dann mit der Feststellung zu schließen, der angeblich beabsichtigte Pazifismus dieser Anzeige sei von niemandem verstanden worden. Ich möchte der Autorin gerne glauben, daß sie sie nicht verstanden hat, aber dieses Unverständnis derart zu verallgemeinern, erscheint mir — angesichts einer Analyse der Anzeige — unangebracht.

Zum Vergleich: Jener naiv grinsende Soldat auf gewissen Plakaten der Antikriegskampagne, dem die Worte „Ich sterbe gern für billiges Öl“ in den Mund gelegt wurden, ist ja wohl mindestens genauso zynisch wie die Anzeige von Benetton — nur platter, damit es jede/r versteht, nicht wahr? Da lacht der/die eingefleischte Linke, ob orthodox-marxistisch oder anarchistisch, ob autonom oder grün... Besagte Werbeanzeige dagegen scheint manchem schlichten Gemüt zu subtil und zu kompliziert zu sein. Offenbar wird Werbung, für die immerhin die (zu recht) verhaßte Wirtschaft verantwortlich zeichnet, mit anderen Maßstäben gemessen als politische Kampagnen der Linken.

Dabei hat „bam“ selbst durch ihren Artikel bewiesen, daß mit einer solchen Anzeige auch an linke/liberale/kosmopolitische Menschen kein T-Shirt zu verkaufen ist. Die Autorin findet sich mit ihrer ignoranten Kritik in seltener Einigkeit mit den „Bonzen“, die die Personen, die für diese pazifistische Anzeige verantwortlich sind, also dafür, daß da „was schief gelaufen“ ist, zur Rechenschaft ziehen werden. Tatsächlich erstrahlt nämlich diese „Werbung“ mitnichten in der gewohnten „Farbenpracht“, sondern in melancholischen Grau-blau-grün-Tönen. Das Feld der Gräber ist unabsehbar und endlos, kein Himmel öffnet sich darüber, der den Blick in die Ferne schweifen ließe und so eine optische Ausfluchtmöglichkeit böte. Die „zarten“, „sanften“ Farben stehen im krassen Gegensatz zu der brutalen Wirklichkeit des Krieges, um die es hier geht. Aber gerade das macht ja die Brisanz und den Pazifismus dieser „Ästhetik der Todes“ aus. Es irritiert, es rüttelt auf, weil man/frau so etwas in der schönen, heilen Welt der Werbung absolut nicht erwartet. Die Werbung geht in diesem Fall an die äußersten Grenzen ihrer Ästhetik, indem sie die „Gleichmacherei“ des Soldatentodes und seine Sinnlosigkeit thematisiert. Ich betrachte diese Anzeige daher nicht als Beschönigung des Krieges und seiner Toten, sondern als eine zwar zynische und makabre, aber immerhin — als eine Form des Protestes oder der Anklage. [...]

Da Werbung nun einmal Ideologie transportiert und sie oder die davon profitierende Wirtschaft samt den kapitalistischen Strukturen wohl kaum in nächster Zukunft abgeschafft werden kann, sollte man/ frau, wenn schon nicht froh sein, so doch wenigstens tolerieren, wenn Werbung einmal nicht sexistisch, rassistisch, nationalistisch oder gewaltverherrlichend ist.

Der falsch verstandene Puritanismus der taz offenbart seine ganze Unglaubwürdigkeit und Scheinheiligkeit, wenn man/frau in der gleichen Ausgabe bis auf Seite 15 vorgedrungen ist, wo ein riesiges Din- A-4-Foto von der toten Marilyn Monroe ins Auge springt. Während im Fall der Werbeanzeige mit ihren Todessymbolen empört linker Pietismus artikuliert wird, versagt bei dem Foto der toten Marilyn jegliche Sensibilität für die Würde und Integrität eines toten Menschen, der in seiner ganzen Wehrlosigkeit brutal vor die Kamera „gezerrt“ wird. [...]

Offensichtlich plagen die taz beim Abdruck des Marilyn-Fotos keinerlei moralisch-ethische Skrupel wie sie besagtes Gräberfeld hervorrief. Soll etwa damit der Mythos Marilyn demontiert werden, der im zugehörigen, platten, oberflächlichen und sexistischen Artikel einmal mehr beschworen wird? Oder ist es nicht vielmehr so, daß die Symbole unzähliger anonymer, toter Männer den linken Pietismus stärker herausfordern als das kalte, brutale Porträt einer toten Frau aus Fleisch und Blut, die schon im Leben zum Sexobjekt degradiert wurde und konsequenterweise auch in ihrem Tod nicht mehr als die Zerstörung eines Mythos darstellt. Während mann, sehr sensibel, hinter den Grabkreuzen der Soldaten die tragischen Schicksale der einst lebenden Menschen beklagt, sieht mann in dem Foto einer toten Frau nicht mehr als die Demontage (oder postmodere „Dekonstruktion“?) eines Sexualobjektes, die zusammen mit der peinlichen Vergötterung der Monroe hart an Nekrophilie grenzt. [...]

Fazit: Die linke Sensibilität und der linke Pietismus sind doppelt verlogen. Es werden jeweils unterschiedliche Maßstäbe angelegt, je nachdem, auf welcher Seite der Barrikaden der/die ProduzentIn eines Bildes der Gewalt steht und je nachdem, welcher Seite beziehungsweise welchem Geschlecht die dargestellten oder symbolisierten Opfer angehören. Gerlinde Volland, Bochum