Dem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet

Die Personalbögen, mit denen Beschäftigte des öffentlichen Dienstes in der Ex-DDR auf ihre politische Vergangenheit abgecheckt werden, standen bei einer GEW-Tagung im Kreuzfeuer der Kritik  ■ Von Ulrike Helwerth

KeineR findet das Verfahren glücklich, viele lehnen es ab, aber niemandem fällt eine akzeptablere Alternative ein. So das Resümee der Aktion Personalbogen, mit der die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in den neuen Ländern auf ihre politische Vergangenheit abgecheckt und gegebenenfalls gekündigt werden.

Auch die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaften (GEW), die inzwischen rund 140.000 Mitglieder in Ostdeutschland vertritt, tut sich mit einer Bewertung schwer. Einerseits müsse man die Fragebögen „grundsätzlich ablehnen“, weil das Verfahren „im höchsten Maße undemokratisch“ sei und rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspräche. Andererseits „möchten wir im Schuldienst keine Leute haben, die in der Stasi waren“, legte GEW-Vorsitzender Dieter Wunder letzten Mittwoch in Berlin auf einer Tagung „Demokratische Erneuerung oder bürokratische Selektion“ das Dilemma dar. Die Gewerkschaft fürchtet auch, daß die Fragebögen das „Entlassungsgeschäft einfacher machen“, soll doch in allen neuen Ländern das Personal im Bildungsbereich drastisch reduziert werden. Außerdem sei nach wie vor unklar, wer die Daten auswerte und was danach mit ihnen passiere, beschrieb Dieter Wunder die Mißstände.

Tatsächlich gibt es für die Auswertung und den Umgang mit den heiklen Personalbögen, in denen nicht nur nach Tätigkeiten für die Stasi, sondern auch nach Funktionen und Mitgliedschaft in SED, Blockparteien und Massenorganisationen gefragt wird, bisher keine einheitlichen Kriterien. Ersetzt werden sie oft durch Gutdünken und Willkür: In einem sächsischen Landkreis etwa übergab die örtliche Schulbehörde den Personalräten die geöffneten Fragebögen, die legten sie der Schulkonferenz vor. Deren Mitglieder gingen die Daten durch und bildeten sich ein Urteil, das sie zurück an die Schulbehörde reichten. Ein Einzelfall ist das sicher nicht.

In Berlin haben Schulsenator und Bezirksstadträte (Ost) ein Übereinkommen getroffen, um eine möglichst gleichmäßige Auswertung der Fragebögen zu gewährleisten. Danach sollen ehemals hauptamtliche MfS-Beschäftigte und Offiziere der NVA, die Verpflichtungserklärungen gegenüber dem MfS unterschrieben haben, entsprechend dem Einigungsvertrag außerordentlich gekündigt werden. Eine Weiterbeschäftigung von ehemaligen Schul- oder AbteilungsparteisekretärInnen (SPO und APO), von hauptamtlichen ParteifunktionärInnen aller Parteien und Massenorganisationen, von AbsolventInnen von Bezirksparteischulen sei in der Regel abzulehnen. Es erfolge aber in jedem Fall eine Einzelprüfung. Eine solche wird auch für einstige inoffizielle Stasi-MitarbeiterInnen (IoM) und niederere Chargen in SED und staatlichen Institutionen verlangt. Bei den aktuellen chaotischen Zuständen und dem Personalnotstand in den ostdeutschen Behörden sind diese Einzelprüfungen aber genauso Illusion wie die Vorstellung, die Fragebögen könnten auf Falschangaben hin abgecheckt werden. „Die tatsächlich Schuldigen werden die Bögen sowieso nicht wahrheitsgemäß ausfüllen“, sprach Christian Ströbele auf dem Podium die Zweifel vieler aus. Die Fragebögen seien nicht nur unpraktikabel, sondern „rechtlich zweifelhaft und politisch nicht zulässig“. Denn nach BRD-Recht gelte, daß sich niemand selbstbezichtigen müsse. Dem Datenmißbrauch, zum Beispiel durch den Verfassungsschutz, seien Tür und Tor geöffnet.

Das eigentliche Problem seien nicht die Fragebögen, sondern die im Einigungsvertrag festgelegte pauschale Übernahme aller Beschäftigten in den öffentlichen Dienst, kritisierte der Bürgerrechtler Wolfgang Templin. Der eigentliche Anspruch der „Revolution“, nämlich „Widerstand und Bereitschaft zum Neubeginn“, seien nicht weiter verfolgt worden. Statt dessen versuche sich jedeR jetzt nach Kräften mit dem neuen System zu arrangieren. Und die Gewerkschaft stelle das Sicherheitsdenken und die Zukunftsangst ihrer neuen Mitglieder viel zu sehr in den Mittelpunkt. Die GEW fordert „absolute Transparenz“ darüber, wie die Daten verwendet werden, und gerichtliche Nachprüfbarkeit der Entscheidungen. Außer Angaben über Stasi-Tätigkeit und Menschenrechtsverletzungen dürften andere Hinweise auf die politische Vergangenheit nicht in die Personalakten aufgenommen werden. Denn, so Dieter Wunder: „Es muß für die Menschen der ehemaligen DDR die Chance geben, gegenüber dem Arbeitgeber nicht immer mit ihrer Vergangenheit belastet zu sein.“