Theatersplitter

■ Drei Kurzkritiken für's Wochenende

Eine sehr akademische Wiederaufführung eines Stückes von Pablo Picasso macht derzeit im theaterforum kreuzberg von sich reden. Mit »Wie man Wünsche beim Schwanz packt«, 1941 im besetzten Paris geschrieben, hat sich das Ensemble unter der Leitung von Rudi Müller-Poland eine spannende Aufgabe gewählt, jedoch dann leider nicht ganz zu eigen gemacht. Die Handlung? »Monsieur P. schreibt ein Stück«, und auf der Bühne werden seine Gedankenbilder Fleisch. Zerissenheit bestimmt die Gangart, zwischen Wahnsinn und Zerbrechlichkeit manövriert Picasso seine Figuren. Doch: Jene surrealistische Lebenswut der Vorlage, ihre fiebrige, geradezu nach Genitalien riechende Lebendigkeit — in dieser Inszenierung läßt sie sich nur erdenken, erahnen. Es ist nicht, daß die Spieler ihr Fach nicht beherrschten, es ist nur, daß sie so anders empfinden als ihr Autor. Schon das dritte Bild läßt Felsenklippen sich auftun zwischen Text und Rezeption: Jene so hölzern lustvolle, weil in ihrer Dynamik so geplante Waschorgie markiert den Scheideweg - die Picassosche Fruchtbarkeit ist nicht mehr aufzuholen; wenn hier kein Kind gezeugt wird, dann wäre die Erde Wüste. Aber der Text überlebt die Inszenierung, Paul Celan hat der deutschen Fassung genug Mut mitgegeben. Ein gutes Wort sei gesagt: Ob das Stück in's Jetzt zu transportieren ist, wo es doch heute Werbeprospekte statt Bomben auf unsere Köpfe hagelt, wer mag das schon entscheiden. Und eine Gelegenheit, diesen selten gespielten Text zu entdecken, ist es allemal. Fr-So 20.30.

Auf etwas seichterem Terrain bewegt sich das no name ensemble in der Naunynritze. »Eine kleine Sehnsucht« scheint sie angetrieben zu haben, Sehnsucht nach einer Zeit, in der man noch zu träumen pflegte und die Realität mit einem gehörigen Schuß Gin zu verdünnen suchte: Songs aus den zwanziger Jahren bilden das Rückgrat ihrer Revue, als Klebstoff kleine szenische Einlagen. Wunderbar die Songtexte, komisch die Begegnung mit dem Sprachwitz jener Jahre: »Ich laß' mir meinen Körper schwarz bepinseln - und fahre auf die Fidschii-Inseln«. Heutzutage malt sich jeder die Haare grün an, aber Pogo tanzen konnte man schon vor 65 Jahren, und zwar mit sich selbst: Ein Crash-Kurs in Charleston zeigt, daß unsere Großeltern weit mehr Angst vor einem Charleston-Knie als vorm schnöden Tennis-Arm unserer Tage zu haben brauchten. Es ist eine schöne, aber auch unspektakuläre Stunde, besungen aus ausgebildeten Kehlen. Besonders erfreulich war Wolf- Hendrik Löschner, der eigentlich im Chor der Komischen Oper singt. Er hatte den rechten Schmiß für die Lieder und auch die schönste Stimme: »Und brummt auch im Trübsaal der Schädel, was macht ihn sofort wieder klar? Ein Flip, ein Gin, ein Mädel; ein Fox und blondes Haar«. Fr-So 21.00.

Das bei weitem dichteste Stück aber zeigt Adriana Altaras mit »Jonteff — Ein Festtag mit meinen Dibbuks«. Im Theater zum westlichen Stadthirschen ist die zur Zeit persönlichste Aufführung der Stadt zu erleben. Altaras ist Jüdin, aufgewachsen zwischen Jugoslawien, Italien und Deutschland (so jedenfalls erzählt es ihr Stück). Sie entstammt der Nachfolgegeneration der Holocaust-Überlebenden, im Spiel zeigt sie uns Deutschen unsere bis heute wachsende Schuld, aber, und das ist neu, auch ihren ganz persönlichen Ärger auf die Vergangenheit, auf ihre Verwandten, auf das, was sie ein Leben lang nicht losläßt - die Geister der noch Lebenden. An der Nacktheit, mit der sie auf der Bühne dem Publikum entgegentritt, kann man ablesen, wie furchtbar es ist, wenn man einen Menschen dazu zwingt, das eigene Private immer auch politisch sehen zu müssen. Mit mimenreichem Spiel, immer zart, mit aufblitzendem Witz tritt Adriana Altaras mit den verschiedensten Inkorporationen auf, sie hat Interviews in ihrer Familie geführt, man trifft ihre Verwandschaft in ihr an. Es zeugt von einem besonderen Verhältnis zu ihrem Publikum, daß sie es an ihrer Befreiung teilhaben läßt, es ist etwas sehr schönes daran, aber auch etwas unangenehmes: Bisweilen ist man sich unsicher darüber, ob einem das Stück wirklich gefallen soll. Spätestens bei der per Diktaphon eingespielten Schilderung der Baracken von Auschwitz legte sich Blei in den Zuschauerraum. Wie kann man über Unvorstellbares sprechen, Brücken über soviel Schmerz schlagen — Adriana Altaras hat jedenfalls einen großen Vorschlag gemacht. Fr-So 20.30. Joachim Schurig