Mit Kohl-Dampf durch den Wahlkampf

Eine Woche vor der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz sind die Sorgen der Christdemokraten nicht zu übersehen/ Wahlhelfer Kohl erntet Pfiffe und Hau-ab-Rufe  ■ Von Joachim Weidemann

Dieses Gesicht spricht Bände: Der rheinland-pfälzische CDU-Landeschef, Hans-Otto Wilhelm, sieht mitgenommen aus, als er in Worms wieder einmal mit seiner Wortkeule „Sozialisten“ auf den politischen Gegner, die SPD eindrischt. Die Strapazen des Wahlkampfs der letzten Wochen haben dunkle Ringe unter seinen Augen gezeichnet; die Wangen sind leicht eingefallen. Vor Ostern noch krank, muß Wilhelm nun eilends zusehen, wie er die CDU noch vor der Landtagswahl in einer Woche aus dem Tief hievt, damit sie auch künftig in Mainz den Ministerpräsidenten stellt — wie die ganzen 44 Jahre zuvor.

Derzeit aber sprechen sämtliche Umfragen dagegen. Die CDU dümpelt bei höchstens 40 Prozent; die SPD kommt auf rund 43 Prozent, den Grünen werden fünf bis sechs, der FDP sieben bis acht Prozent zugerechnet. So gesehen, würde die Konstellation einer sozialliberalen Koalition in Mainz den Weg bahnen.

Das Steuer für die CDU noch herumzureißen, wäre alleine Wilhelm zuzutrauen, dem dynamischeren der beiden Politiker im CDU-Spitzenduo für die kommende Wahl. Denn Wilhelms „Tandem“-Partner, dem noch amtierenden Ministerpräsidenten Carl-Ludwig Wagner, ist lange schon die Luft ausgegangen. Ihm haftete von Anfang der Ruf eines „Übergangs-Ministerpräsidenten“ an. Wagner soll nun — nach einem CDU-Wahlsieg — lediglich noch zwei Jahre Regierungschef bleiben und dann sein Amt an Wilhelm abtreten.

Die WählerInnen und ParteifreundInnen sind irritiert; sie hätten lieber klare Verhältnisse. Denn schon einmal ist die CDU mit einem „Tandem“ im Straßengraben gelandet: mit Ernst Albrecht und Rita Süssmuth in Niedersachsen.

Am Donnerstag bekommt CDU- Landeschef Wilhelm dann die dringend nötige Schützenhilfe aus Bonn. Der „große Bruder“, Kanzler Helmut Kohl, kämpft in seiner Heimat Rheinland-Pfalz um Stimmen für den Machterhalt. Doch in Worms und in Kaiserslauten, wo Kohl mit Wilhelm an jenem Abend auftritt, sind die Pfiffe und Hau-ab-Rufe nicht zu überhören. Und so kann sich ein SWF-Reporter denn auch eine Frage an Wilhelm nicht verkneifen, die fast unverschämt klingt: Ob er, Wilhelm, denn nicht glaube, daß es derzeit eher schade, sich mit Kohl im Wahlkampf sehen zu lassen? Wilhelm verneint glatt und behauptet das Gegenteil.

Was sollte er auch sonst tun. Ohne Kohls Segen steht jeder im Regen, der in der rheinland-pfälzischen CDU was werden will. Kohl ist und bleibt der Schirmherr, „mit dem Herz dem Land verbunden“, so ein Wilhelm-Vertrauter. Der verweist auch gleich darauf, daß Mainz ja „direkt auf dem Weg von Bonn nach Oggersheim liegt“.

Umso erstaunlicher, wie wenig der Kanzler konkret auf die Probleme der Region, die Rüstung, die Arbeitslosigkeit oder die Landwirtschaft eingeht, wie sehr er noch immer an deutsch-deutschen Themen klebt. Die Reden strotzen vor Floskeln und Plattheiten. Sie fangen damit an, daß die EG den Bauern nicht schaden dürfe und enden mit: „Wer die SPD wählt, den straft das Leben.“ Luftblasen, bei denen nur eingefleischte CDU-WählerInnen noch aufatmen können. Aber auch andere sind aus Neugierde gekommen: „Ich dachte, vielleicht kann man hier ein paar Eier fangen.“

Die Kohl-Fans von der Schülerunion jubeln „Helmut, wir stehen zu dir“, und: „Weiter so!“. Die Kohl- GegnerInnen vom antifaschistischen Aktionsbündnis, von den Jusos und den Jungen Liberalen halten dagegen: „Hau ab!“ Auf Transparenten protestieren sie: „Alles Lüge!“ Oder: „Helmut, wir wollen noch mehr Steuern zahlen!!“ Ein Banner hat's Kohl dann wahrlich angetan: „Der Kanzler kommt in den Topf und wird gegessen, bis er all ist.“ Kohl, amüsiert von seinem Einfall, demonstriert Schlagfertigkeit: „Es gibt eben ein Bauernsprichwort, das heißt: Der Kohl ernährt seinen Mann!“ Applaus und Gelächter aus den vorderen Reihen, wo die ParteifreundInnen stehen. Für sie und Kohl sind die „Schreier“ (Kohl) sowieso nur Leute, „die ihre pubertären Gefühle abreagieren“.

Die CDU hat sonst wenig zu lachen. Seit Wilhelm den „Landesvater“ Bernhard Vogel (CDU) auf dem Landesparteitag am 11. November 1988 abgeschossen hatte, knirscht es im CDU-Getriebe. Ein CDU-Mann aus Ramstein findet die Art, wie Wilhelm damals seinen Kontrahenten Vogel absetzen ließ, heute noch „nicht schön“. Der Christdemokrat wünscht sich den alten Ministerpräsidenten zurück. Die beiden Neuen, Wilhelm und Wagner, meint er, könnten Vogel „nicht mal das Wasser reichen“. Vogels letzte Worte — „Gott schütze Rheinland-Pfalz“ — klingen noch heute in den Ohren. Die Wunden von damals — Parteiaustritte und Wählerschwund — sind längst noch nicht verheilt, wie die CDU überall weismachen will. Ein Symptom der Parteikluft: Zwar warb kürzlich Bernhard Vogel persönlich in Anzeigen für CDU-Stimmen. Doch tat er dies, ohne Wilhelm oder Wagner überhaupt zu erwähnen. Alles vergeben und vergessen?

Auch das Verhältnis zwischen Kohl und Aufsteiger Wilhelm ist alles andere als herzlich, wie die Blicke verraten. Ein freundliches „Hans- Otto“ kommt Kohl bislang noch nicht über die Lippen. Nach der Wahlschlacht von Worms befehlt Kohl nur kurz: „Wilhelm, wir gehen dann!“

So mögen Wilhelm nicht nur Wahlsorgen quälen. Während Kohl den Wählern ein zweites Wirtschaftswunder verspricht, steht Wilhelm mit gesenktem Blick daneben. Unruhig beißt er die Zähne zusammen, nagt von Zeit zu Zeit auf seinen Lippen herum. Selbst als Georg Gölter, CDU-Kultusminister in Mainz, ihm was Lustiges erzählen will, huscht nur ein kurzes Lächeln über seine Lippen, dann kehrt der Ernst in seine Züge zurück. Wenn Wilhelm diese Wahl verliert, dürfte das auch das Ende seiner noch jungen Parteilaufbahn sein. Ein CDU-Mann aus Ramstein: „Ja, das wird knapp! Aber als Demokrat muß ich ja auch einen Regierungswechsel akzeptieren.“