Das prügelnde Mysterium

■ Spieltag für Spieltag randalieren sie sich in die Schlagzeilen. Der Fernwettkampf der Hooligans treibt sie von Krawall zu Krawall. Politiker und Funktionäre üben sich in Verdammung, haben aber weder schlüssige...

Das prügelnde Mysterium Spieltag für Spieltag randalieren sie sich in die Schlagzeilen. Der Fernwettkampf der Hooligans treibt sie von Krawall zu Krawall. Politiker und Funktionäre üben sich in Verdammung, haben aber weder schlüssige Erklärungen noch Lösungsvorschläge parat. Das Ende des Polizeiknüppels ist meist auch das Ende ihrer Weisheit.

Im Jahre 1908 bat Werder Bremen die Polizeidirektion um zwei Beamte zum Schutze vor herumpöbelnden Zuschauern. Die Geburtsstunde der Hooligans? Oder war es doch erst 1985 die weltweite Live-Übertragung des Todes von 39 Fans im Brüsseler Heysel- Stadion vor dem Europacup-Finale Turin gegen Liverpool?

Jedenfalls nannten sich erst danach die Fans vom Festland wie ihre englischen Schlägerfreunde: Hooligans (englisch: Radaubruder, Strolch). In der DDR ein Un-Name. Selbst im „Fußball-Lexikon“ von 1987 existiert er nicht. Dabei trafen sich spätestens Anfang der 80er Jahre verstärkt Jugendliche, die weniger ihre Klubs antreiben als gegnerische Fans vertreiben wollten.

Es war die Aufstiegszeit des BFC Dynamo zum Multi-DDR-Meister. Vater Stasi und Mutter Polizei machten ihn aufs höchste unbeliebt. Schimpf und Schande trafen auch seine Fans. Das schweißte sie zusammen. In Fan-Clubs wie „Die Analen“ gruppierten sich die BFCler zur schlagstärksten Fraktion zwischen Oder und Elbe.

Die Stasi saß zwischen den Stühlen: Einerseits überwachte man mit Kameras, Karteien und Komissaren, andererseits fürchtete man um den Verlust der allerletzten BFC-Fans und ließ die Hooligans marschieren. Konsequent verdrängten sie die „Kuttenfans“ in Ost-Jeans und Sandalen. Hooligans tragen Eisbär-Pullover, Diesel-Jeans, Adidas-Ballons und riechen nach „Karl Lagerfeld“. Auch im Kampf.

Ihn suchten die Berliner immer intensiver. Verwüstungen der Berliner Innenstadt, das brutale Vertreiben der Magdeburger Polizei, Kämpfe mit Leipziger Beamten, die den Mitläufer Mike Polley erschossen, und die Zerstörung der Rostocker City gingen auf ihr Konto. „Spaß an der Boxerei“ und das Streben nach der „deutschen Nummer eins“ war ihr Motiv, „Errungenschaften der friedlichen Revolution“ ihr Glück.

Zu DDR-Zeiten konnte es jedem passieren, willkürlich verhaftet und im Schnellverfahren verurteilt zu werden. Nie hätte ein Hool gewagt, sich zu wehren — auf Widerstand gegen die Staatsgewalt standen bis zu zwei Jahre Knast. In den letzten Monaten gab es keinen einzigen Prozeß mehr, eines der letzten Volkskammer-Gesetze verbietet die Durchsuchung von Teilnehmern bei Veranstaltungen wie Fußballspielen, Festgenommene weisen ihren Wohnsitz nach und können wieder gehen.

Was als Aufwertung der Bürgerrechte gedacht war, geriet in diesem Fall zum Bumerang. In Rostock wurde ein Geschäft demoliert, die Randalierer verhaftet. Zwei Stunden später standen sie wieder vor dem Laden und lachten den Besitzer aus, der gerade die Scherben zusammenfegte. Kein Nachdenken über Konsequenzen. Aber als der völlig zerstörte Sonderzug später nach Berlin fuhr, befürchteten die älteren Hooligans ihre sofortige Verhaftung auf dem Bahnhof. So war es in der DDR und so half es auch dort nicht.

Aus drei Gruppen rekrutiert sich das gewalttätige Potential der Hooligan-Cliquen von heute:

—politisch ausgerichtete faschistische Gruppen wie FAP und Nationale Alternative,

—modisch und musikalisch vereinte Skinheads

—und Fans mit dem Freizeitinteresse, andere Fans zu verprügeln.

Partnerschaften von Ost- und West-Hooligans

Die Politik ist an Spieltagen Nebensache. Es gibt Hooligans in Berlin, die auch die Reihen der linksradikalen Kämpfer des „Schwarzen Blocks“ am 3.Oktober auf dem Alexanderplatz oder im November in der Mainzer Straße verstärkten. Von den rund 800 Berliner Hooligans sind etwa 150 sogenannte „gute Kämpfer“, die gern und willig keiner Boxerei aus dem Wege gehen. Zehn bis zwölf gehören zum Kern.

Er pflegt die Kontakte zu Hooligans anderer Vereine. Leipzig — Nürnberg, Rostock — Hamburg oder Berlin — Bochum sind gängige Partnerschaften. Die große Gewaltbereitschaft innerhalb des Mobs kommt daher auch aus einem „Sich- beweisen-wollen vor unseren Gästen“, zum anderen kommt sie von jungen Hooligans, die sich in der Szene mit ausgesuchter Aggressivität hochdienen wollen und beispielsweise für die Verwüstungen in Rostock sorgten.

Die größte Gefahr entsteht, wenn durch die Mischung verschiedener Hooligan-Gruppen jegliche Beziehung zum Verein verlorengeht. Als beim Europacup-Spiel Dresden gegen Belgrad Randalierer aus Leipzig, Chemnitz und Hamburg dazukamen, wurden sogar Dresdner Spieler mit Steinen beworfen. Resultat eines „Krawalltourismus“, bei dem sich wahllos Schläger verschiedener Städte vereinen.

Aber die Unberechenbarkeit der Hooligan-Auftritte läßt einige Vertreter inzwischen nach Ausweichvarianten suchen. Nach dem Oberliga- Spiel Berlin gegen Magdeburg verabredeten sich erstmals Hooligans beider Vereine, zwei Stunden nach dem Spiel im Jahn-Sportpark im fünf Kilometer entfernten Stadion der Weltjugend „eine geile Boxerei“ zu veranstalten. Dreißig gegen dreißig. Der grölende Mob der Berliner zog also los, verfolgt von der Polizei. Zurück blieben die cleveren „Veteranen“, die sich in kleinen Gruppen zum Treffpunkt verdrückten. Wer nicht kam, waren die Magdeburger, deren Bus ständig von der Polizei begleitet wurde. Aber das Risiko, wegen unkontrollierbaren Plündereien in den Knast zu kommen, ist vielen der älteren Hooligans zu groß geworden: „Früher war's mir egal, aber jetzt wegen der Chaoten abzugehen, ist zu heiß,“ gesteht Hardy (28).

Zur Ruhe setzen wird er sich nicht. Denn psychologisch scheint es unmöglich, daß ein Hooligan über Nacht zum friedfertigen Menschen wird. Der Fußball-Spieltag ist sein Tag. Da läßt er den Dampf ab, der sich in der Woche angesammelt hat. Er entlädt sich so intensiv, daß er danach wieder der seriöse, von älteren Damen geschätzte Versicherungsberater, Medizinstudent, Krankenpfleger oder auch Zuhälter sein kann. Und in der Woche holt er aus zum nächsten Schlag. Eigentlich will er die feindlichen Hooligans treffen. Oder wenigstens die Polizei. Ist auch da kein Rankommen, müssen wehrlose Fensterscheiben dran glauben. Das Ziel wird immer egaler.

Wer die Randale verhindern will, müßte den Hooligans andere Felder ihrer Aggressionsentladung anbieten. Da dies nie geschehen wird, hofft man verstärkt auf Differenzen und Streit unter den Fans, auf den Einfluß von Fanprojekten und auch auf die Kompetenz der Medien. Aber in Ostberlin wurden Streetworker- Stellen gestrichen, eine Hooligan- Kartei verlangt und die Stadien zu wahren Käfigen umgebaut. „Die können Schauprozesse durchführen und Leute verknacken,“ resümiert Jens, ein Berliner Hooligan, „solange sie nicht verstehen, wie wir denken und fühlen, können sie uns gar nichts.“ Hagen Boßdorf