MITDEMKOPFINDERMASCHINE  ■  FRONT LINE ASSEMBLY

Techno ist, am Potsdamer Platz zu stehen und den Einlaß in den begehrten „Tresor“ zu erkämpfen. Gegen dieses Vorspiel ist der Rest ein Kinderspiel: einE jedEr mißt sich einen Radius auf dem Tanzboden aus, auf dem er seine Beine grätscht. Darüber noch einmal den Radius, der benötigt wird, um die Arme zu den Schlägen aus des DJ' s Maschine kreisen lassen zu können — sinnvoll deshalb, weil im Trockeneisnebel ein geklärtes Verhältnis zum tanzenden Nachbarn unbedingt erforderlich ist.

Techno ist, Hunderte von Kilometern zu fahren, um mit Brüderchen-komm- tanz-mit-mir fremde Clubs auf ihre Tauglichkeit zu prüfen. In Kombination mit fernöstlichen Zaubertränken beginnt die Musik schon auf der nächtlichen Autobahn zu wirken und macht glauben, die Schilder dort seien blauer als blau und das Rostgefährt bringe noch mehr als die magischen 120. In diesen beiden Fällen handelt es sich um die einfachere Variante der Gattung, um wuchtige Beats, über die schrille Töne gelegt wurden, um Exstase zu Texten, die nur an der reinen Körperlichkeit metropolit Heranwachsender interessiert sind.

Es gibt jedoch auch Vertreter des Genres, zu deren maschinellem Output sowohl Tanz als auch Autofahrten unmöglich sind. Front Line Assembly haben auf ihrem jüngsten Album »Caustic Grip« soviel Information gespeichert, daß die Synapsen mit dem Transport jeder weiteren überfordert sind. Das kanadische Duo aus der Familie des Brüsseler Labels Play-it-again-Sam hat mit seiner Streßhormone freisetzenden Aggressivität ein Schaffenspunkt erreicht, der ihre bekannteste Maxi, »Digital Tension Dementia« (1988), mehr als drei Jahre zurückzulassen scheint. Die klang so, wie man sich anspruchsvolle EBM vorstellt: ein bißchen wie die populären Front 242, hart, aber mechanisch melodisch, und voller Aphorismen zur Geistesverfassung der Menschheit, vorgetragen von einer wie bei Nizzer Ebb mit viel Effekt zu muskulösem Männertum verzerrten Stimme.

Mit »Caustic Grip« haben sich Front Line Assembly entschieden, die Politik vom Wort in das Gesamtprodukt zu verlegen. Die Stimme ist nun Maschine unter Maschinen, Einzelheiten des Textes Nebensache. Der Klang ist der Inhalt. Die seit der Popularität des Sampelns gern angewandte Methode, Funkstimmen und andere Töne aus der Glasfaserwelt zu verwenden, erfährt nach dem rein dekorativen Dauergebrauch in den 80er Jahren bei FLA ihre Rehabilitation. Digital verpuzzelt zeichnen sie ein Bild von der gegenwärtigen Zivilisation, das das Thema der ersten Studioveröffentlichung von Front Line Assembly wieder aufnimmt: »Iceolate/ Mental Distortion«. Alles »konvergiert« mit allem, multipel verschaltet. Zurück bleibt der Einzelne (Hörende) als Teil einer großrechnerartigen Maschine, unfähig, sich dem Programm zu entziehen, geschweige denn, es zu manipulieren.

Wer dafür seine Tanzstelle abmessen will, bitte schön. Die Arme aber haben heute Abend Ruderpause. Im Ecstasy sind die Köpfe an der Reihe. ZeWa

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