Der Schätzer vom Dienst

■ Ein Westler hilft bedrohten Ost-Apotheken, den Sprung in die Marktwirtschaft zu überleben

An Dieter Kirstein sen. aus Schönbrunn (Oberfranken) hätte sich das Rateteam von Robert Lemkes „Heiterem Beruferaten“ die Zähne ausgebissen: Er ist von Beruf Fachberater und Schätzer für Apotheken. Das klingt recht uninteressant, aber dieser Eindruck täuscht. Denn Dieter Kirsteins Beruf ist mit der Wiedervereinigung Deutschlands entstanden; er folgte damals einem Hilferuf der ostdeutschen ApothekerInnen, er möge ihnen bei der Privatisierung helfen. Denn die ApothekerInnen waren nahe daran, das Schicksal so manch anderer Wirtschaftszweige in den neuen Ländern zu erleiden: das Aus.

Kirstein ist 58 Jahre alt und hatte sich eigentlich aus seinem aktiven Berufsleben — eine Firma, die Apothekeneinrichtungen produzierte — zurückgezogen. Das Hilfsbegehren der ostdeutschen ApothekerInnen veranlaßte ihn jedoch, sich mit dem deutschen Apothekerverein in Verbindung zu setzen, und so konnte Kirstein ab 1.August 1990 offiziell für die Apotheker im Osten tätig werden. Am 2.August 1990 wurde das gesamte Gesundheitswesen der ehemaligen DDR der Treuhand übertragen.

Einer der Aufträge lautete: Die Apotheken so schnell wie möglich privatisieren. Die Richtlinien hierfür erarbeiteten der damalige Apothekerverband Ost — dessen Mitglieder nach Einschätzung Kirsteins treu und brav an die uneigennützige Mithilfe aus dem Westen glaubten — und die Treuhand in Gestalt von Direktoren westdeutscher Firmen und Leiter von Maklerbüros, die keine große Mühe hatten, den ostdeutschen ApothekerInnen klarzumachen, was unter Marktwirtschaft zu verstehen sei. Beim Nachrechnen kam Kirstein schnell zu dem Ergebnis, daß hier der westdeutsche Staat, und in der Folge die westdeutschen Unternehmen, auf Kosten der ostdeutschen ApothekerInnen den Reibach machen wollten. Letztere — in der Regel die früheren ApothekenleiterInnen — sollten im Falle der privaten Übernahme 30 Prozent des durchschnittlichen Jahresumsatzes an den Staat zahlen. Dieser Wert ist den westdeutschen Verhältnissen vielleicht angemessen.

In der ehemaligen DDR war der Umsatz der relativ wenigen (etwa 2.000) Apotheken aber im Durchschnitt wesentlich höher, etwa drei bis fünf Millionen Mark, wo hingegen der Gewinn wesentlich geringer war. 30 Prozent vom Umsatz hätten hier bedeutet, daß jede Apotheke mit einem Schuldenberg von einer bis anderthalb Millionen Mark hätte starten müssen.

Kirstein tat hier das, was in anderen Wirtschaftszweigen vielleicht auch geholfen hätte: Er drohte mit einer Klage vor dem Bundesverfassungsgericht. Nun müssen die ApothekerInnen bei der Privatisierung nur noch effektiv 4,5 Prozent des Jahresumsatzes an die Treuhand zahlen. Die Kreditbelastung ist damit noch immer sehr hoch, aber gerade noch tragbar, jedenfalls dann, wenn — so meint Kirstein — die Lohn- und Nebenkosten auf dem jetzigen Niveau bleiben.

Aber damit war die Geschichte noch längst nicht beendet: Anfang 1991 wurden die ostdeutschen Apotheken erneut an den Rand des Ruins gedrängt. Norbert Blüm wollte die westdeutsche Pharmaindustrie verpflichten, ab 1.Januar ihre Produkte in den Osten zu einem Preis zu liefern, der 55 Prozent unter westdeutschem Niveau lag. Die Unternehmen, die Ostdeutschland zuvor kräftig beliefert und von ihren Produkten weitgehend abhängig gemacht hatten, lieferten nun nicht mehr bzw. nur zum vollen Preis. Da die ostdeutschen Apotheken ab diesem Zeitpunkt auch nur 45 Prozent Rückerstattung von den Krankenkassen erhalten hätten, konnten sie die Medikamente nicht mehr beziehen. Später einigte man sich: Industrie, Krankenkassen, Bund und Apotheken teilen sich für drei Jahre den Verlust aus diesem Preisabschlag. Dieter Kirstein sen. meint, daß nicht alles, was im Osten in den 40 Jahren gewachsen sei, von vornherein negativ zu bewerten sei. Ein Beispiel aus dem Bereich der Apotheken seien die Pharmazeutischen Zentren und die Qualitätssicherung. Die Zentren bestehen aus zehn bis zwölf Apotheken, in denen Medikamente hergestellt werden, für die sich eine Großproduktion nicht lohnt. Insgesamt gab es in der DDR etwa 100 solcher Zentren, 70 werden nun von Kirstein betreut.

Der ursprüngliche Plan der Treuhand bestand darin, die in den Zentren lagernden Medikamente zu entsorgen und die Geräte und Maschinen zu verschrotten, was — nebenbei gesagt — auch hohe Kosten verursacht hätte: Für ein großes Stadtzentrum etwa 40.000 Mark. Heute folgt die Treuhand Kirsteins Konzept: dem Versuch, die Geräte und Maschinen sowie Pharmazeutischen Zentren einer sinnvollen Verwendung zuzuführen.

Aufgrund früherer Kontakte schrieb Kirstein an die litauische Regierung — und dort reagierte man schnell. In diesen Tagen ist ein Fachmann bei Kirstein zu Gast: der stellvertretende Gesundheitsminister Litauens, Henrikas Petkeritschus, der nun überprüfen soll, was unternommen wird — immerhin kann er aus einem Vermögen im Wert von knapp 2,5 Millionen Mark auswählen. Eine Verrechnung würde über die Rußlandhilfe erfolgen, das heißt: Litauen müßte den Warenwert nicht bezahlen, aber die Treuhand bekäme den entsprechenden Barbetrag aus dem „Topf“ der Rußlandhilfe, und hiervon wiederum profitieren die ApothekerInnen in den neuen Bundesländern. Roland Exner