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»Kaufen Sie besser Kehrmaschinen!«

■ Straßenumbenennungen — Heute: Marzahn

Marzahn ist nicht Mitte. Wo 1976 ein SED-Parteitagsbeschluß genügte, um eine gigantische Hochhaussiedlung aus eckigen Platten entstehen zu lassen, wo 1987 der 200.000ste Bewohner mit den herzlichen Grüßen einer Parteidelegation beglückt wurde, da hatten sich die Genossen auch Ehrenplätze auf den Straßenschildern reserviert. Nun wird in Marzahn wie in allen anderen Ostberliner Bezirken darüber gestritten, ob und, wenn ja, wie man diese unliebsamen Namen aus dem Straßenbild— und möglichst auch aus dem Gedächtnis — streichen soll. Nur daß damit in diesem Bezirk nicht viel gewonnen ist: »Namen sind Schall und Rauch. Man kann sie ändern, die triste Realität dieser vom SED-Regime erbauten Hochhäuser wird dagegen bleiben«, schrieb jemand aus Marzahn und votierte für »nicht umbenennen«.

Diese Zuschrift war die Reaktion auf eine Briefkastenaktion des »zeitweiligen Ausschusses für die Umbenennung von Straßen und Plätzen« der Bezirksverordnetenversammlung Marzahn. »Früher war es so, daß die Menschen morgens aufstanden, und ihre Straße war umbenannt«, erzählt der Ausschußvorsitzende Buttler (PDS). Damit so etwas nicht wieder geschieht, hat der Ausschuß mit basisdemokratischem Eifer 68.000 Zettel drucken und verteilen lassen, auf denen die »verehrten Bürgerinnen und Bürger« um ihre Meinung gebeten werden.

In etwa zweihundert Zuschriften machten sich die MarzahnerInnen Luft. Wie zu erwarten, konzentrieren sich die meisten Umtaufwünsche auf die Namen ehemaliger ZK- und Politbüro-Mitglieder. Die menschliche Evaluierung der Herren auf den Straßenschildern ist manchmal nicht einfach — oft warnen die Briefe, »man muß aber unterscheiden zwischen...«, »darf den ... nicht in einen Topf mit dem ... werfen«. Skrupel bei alten Antifaschisten auch hier.

Weitgehend einig ist man sich über die Wiedereinsetzung alter Straßennamen. Doch davon gibt es in der Satellitenstadt Marzahn — außer einem alten Siedlungsgebiet, in dem sich der Adel mit Kaiser-, König-, Herzog- und Prinzenstraßen tummelte — nicht viele. Und so liegen auch viele wüste Beschimpfungen auf dem Stapel der Briefe. Ob die BVV keine anderen Sorgen habe, als Steuergelder für die Umbenennung von Straßen hinauszuwerfen. Angesichts der Arbeitslosigkeit und Aggressionen, die gerade in diesem Bezirk besonders grassieren, solle man sich nicht mit diesen Nebensächlichkeiten befassen. Eine erboste Marzahnerin hatte schon konkrete Vorstellungen: »Kaufen Sie besser Kehrmaschinen!« Karen Pfundt

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