Die „Petticoat-Präsidentin“ wird zerpflückt

Eine unautorisierte Biographie über Nancy Reagan schlägt in den USA ein wie die „Satanischen Verse“  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Ehe es dem Volk nach dem siegreichen Ende des Golfkriegs zu langweilig wurde und sogar die Gefahr bestand, daß sich die innenpolitischen Themen Amerikas auf die Tagesordnung drängen könnten, sorgen seit einer Woche zwei saftige Skandale für neuen Zeitvertreib. Im Urlaubssitz des Kennedy-Clans in Palm Beach soll sich eine Vergewaltigung zugetragen haben, in die angeblich Ted Kennedys Neffe verwickelt war. Und Nancy Reagan soll im Weißen Haus hinter Ronnies Rücken regelmäßig Schäferstündchen mit Frank Sinatra abgehalten haben.

800.000 US-Bürger zahlen 25 Dollar, um ihr altes Idol höchstpersönlich zu zerstören

Nun sind die katholischen Kennedys als Stoff für die Projektion des puritanischen Volkszorns spätestens „out“, seitdem Alkoholiker Ted weiland mitsamt seinem Auto und Sekretärin auch seine politische Karriere in den Flußsand des Chappaquiddick River gesetzt hatte. Doch bei den Reagans gab's scheinbar selbst nach der ganzen Serie von „I hate Nancy“-Büchern von Mitarbeitern des Weißen Hauses noch genügend an verbleibendem Ruf zu demolieren. Dabei mutet es wie ein makabrer Volkssport an, wie jetzt die gleichen Bürger, die Traumtänzer Ronald und seiner Traumgattin Nancy acht Jahre auf den Leim gegangen sind, jetzt in die Buchläden stürmen und 25 Dollar dafür hinblättern, ihre Idole von gestern durch den sonst ungewohnten Leseakt nun höchstpersönlich zu zerstören. Die Erkenntnis der eigenen politischen Leichtgläubigkeit läßt die private Rache nun um so fürchterlicher ausfallen.

Das Leben der Reagans war aus dem Stoff eines B-Movies

Nun, was haben denn die Reagans dem Land außer einem waffenstarrenden Arsenal, einem tiefen Haushaltsloch, der Iran-Contra-Affäre und einer riesigen Sparkassenpleite sonst noch alles hinterlassen, wovon wir bisher nichts wußten? Glaubt man Kitty Kelley, die in ihren bisherigen „Killer-Biographien“ schon das Fett Liz Taylors und den Frauenhaß Frank Sinatras entblößt hatte, dann war auch das reale Leben der Reagans aus dem Stoff eines B-Movies: Da hat der Zelluloidheld Ronald eine Kollegin mit Gewalt beschlafen; da preßte ihn die aufstiegsgeile Nancy mit ihrem dicken Bauch in die Ehe; da sah der unfreiwillige Gatte auch nach ihrer Zwangsheirat noch jahrelang eine andere; und da trieb es die „Petticoat-Präsidentin“ (Kitty Kelley), die in der Reagan-Administration die Hosen anhatte, bis zuletzt noch mit mit „Old Blue Eyes“ in der Pennsylvania Avenue 1600.

Kurzum, der Mythos vom Traumpaar Reagan ist nun endgültig durch das Bild der berechnenden und selbstsüchtigen Nancy ersetzt worden, die ihren zuerst etwas begriffsstutzigen und später senilen Gatten mit weiblicher List und Astrologie durchs Schauspieler- bzw. Präsidentenleben steuerte — und die ganze naive Nation mit ihm.

Dabei war Nancy weder als Ehefrau noch als Präsidentengattin demokratisch legitimiert. Daß dieses misogyne Machwerk jetzt auch noch aus dem Schreibcomputer der mindestens ebenso unausstehlichen Zimtzicke Kitty Kelley stammt, gibt dem Lesevergnügen noch einmal einen ganz besonderen Reiz, dem sich in der ersten Woche bereits über 800.000 Leser hingegeben haben.

Für den Verlag war Reagans Autobiographie ein Flop, doch der Nancy-Verriß holt's wieder rein

Eine wahre Genugtuung für den Verlag Simon & Schuster, der Ronald Reagan zuvor eine Millionenpauschale für seine Autobiographie bezahlt hatte, die zum fürchterlichen Flop wurde. So stimmt beim Verleger wieder die Kasse, der Buchhandel reibt sich die Hände, die Kritiker können sich seitenlang über Fakt oder Fiktion streiten, und der Bürger hat beim genüßlichen Zerfleddern seiner Helden einen Heidenspaß.

Man stelle sich nur einmal für einen Augenblick vor, die gleichen Energien von Medien und Konsumenten, die jetzt in die Rezeption der privaten Skandale fließen, wären in die Aufdeckung der politischen Skandale der Reagan-Präsidentschaft investiert worden. Aber dann wäre dies eben nicht mehr Amerika „where anything goes“, vom Golfkrieg-Nintendo bis zum Sex der Präsidentengattin mit dem Mafia-Freund Sinatra im Weißen Haus. Was macht es da schon, was daran wahr oder falsch ist. Hauptsache, der Unterhaltungswert stimmt.