Massenprotest kam nicht zustande

■ Weniger Teilnehmer bei der Berliner IG-Metall-Kundgebung als erwartet/ Die Resignation war größer als die Wut/ Für die CDU waren die Demonstranten „herzlich unwillkommen“

Berlin (taz) — Die zwanzig Lehrlinge des Motorradwerkes Simpson in Suhl mußten in der Nacht zu gestern früh aufstehen. Morgens um halb vier startete der Sonderbus nach Berlin, gegen Mittag sollte die zentrale Kundgebung der IG Metall nahe des Brandenburger Tors stattfinden. „Wir demonstrieren für Arbeit“, hieß ihr Motto. Zum Jahresende wird das Simpson-Werk dichtgemacht. Noch hat sich kein Betrieb in der näheren Umgebung bereiterklärt, die Ausbildungsverträge zu übernehmen. „Wir machen wahrscheinlich rüber“, sagte einer von ihnen, und auch der Jugendsekretär der IG Metall in Suhl nickte dazu.

Damit dies nicht massenhaft passiert, mobilisiert die IG Metall unermüdlich fürs Dableiben, für eine Perspektive in Sachsen und Brandenburg und gegen die soziale Spaltung in Deutschland. Diesmal offensichtlich an den Menschen vorbei. Die Mutlosigkeit der Kurzarbeiter und demnächst Arbeitslosen ist riesengroß. Wozu noch nach Berlin fahren? Mit mindestens 150.000 Teilnehmern aus allen neuen Bundesländern hatte die IG Metall gerechnet und 26 Sonderzüge plus 3.000 Busse für den Transport bereitgestellt. Nur um 35.000 kamen, um den Gewerkschaftsvorsitzenden Steinkühler, Bischof Forck von Berlin-Brandenburg, Konrad Weiss vom Bündnis 90 und Schorlemmer von der SPD zuzuhören. Insbesondere die Ostberliner glänzten durch Abwesenheit. Einige tausend Demonstranten kamen zudem aus Lübeck, Kiel, Emden und aus dem Ruhrgebiet.

Franz Steinkühler verteidigte vor den frierenden Zuhörern das Recht der Gewerkschaften, für ihre Forderungen auf die Straße zu gehen. Der jetzt erwachte Bürgerprotest zielt nicht auf den Sturz einer Regierung, sondern auf „eine einschneidende Änderung der Politik der Regierung“. Die Bonner hätten das Vertrauen der Wähler verspielt: „Wählervertrauen ist wie ein rohes Ei, man kann es nur einmal in die Pfanne hauen“, sagte er unter großem Beifall. Sein alternatives Programm blieb allerdings vage, denn die letzten Beschlüsse der Bundesregierung — Verlängerung der Kurzarbeiter- Sonderreglung, Überführung der sanierungsfähigen Betriebe in eine Treuhand- Holdinggesellschaft, kommunale Investitionsprogramme — kommen den immer wieder geäußerten IG-Metall-Vorschlägen sehr nahe. Immer wieder kritisierte Steinkühler den „Sozialzynismus“ der Regierung und die „politische Brunnenvergiftung“ durch jene, die die Ermordung von Rohweder zum Anlaß nehmen, „die Bürgerproteste in die Ecke der Komplizenschaft mit den Gewalttätern zu rücken“.

Große Freude über die geringe Beteiligung äußerte der Berliner CDU-Fraktionschef Landowsky. Die Demonstranten seien ihm „herzlich unwillkommen“. Der designierte SPD-Vorsitzende Engholm hingegen verteidigte die Kundgebung. Ihm sei lieber, daß bei den Demonstrationen „gestandene Gewerkschafter an der Spitze stehen, als wenn irgendwann aus dem Nichts heraus die rechten Rattenfänger dieser Gesellschaft auftauchen“. Anita Kugler