Alkohol war mit im Spiel

■ Scardanellis Trakl-Lesung im Kabinett »Die kahle Sängerin«

Scardanelli ist ein höflicher junger Mann aus dem Süddeutschen. Er hält eigenhändig die Tür der Kleinkunstbühne nahe dem Landwehrkanal auf, kassiert 5 Mark und lotst sein Publikum zu einem der knapp zwei Dutzend Sitzplätze vor der bescheidenen Bühne. Schließlich — zweimal schon trat der Künstler auf die Straße, um verspäteten Gästen den Weg zu weisen — wird der Eingang verrammelt, Alkohol eingeschenkt und der schwarze Vorhang zugezogen. »Wer nicht bis zum Schluß bleiben möchte«, den beruhigt der Gastgeber: »Der Schlüssel steckt.«

»Trakl, Georg, Dichter, geboren Salzburg 3. 2. 1887, gestorben nach einer Überdosis von Drogen (Selbstmord?) Krakau 3. oder 4. 11. 1914« ersteht aus dem Mund Scardanellis zu vollem expressionistischem Pathos. Schwarzkitteln donnert der kahle Rezitator in den kalten Schauraum, kaut die Worte Trakls und bläst sie wie Kaugummi auf, formt manchmal, zu manchmal, bis man glaubt, einem Volkshochschulkurs über die wahre und gute, aber nur wenig schöne, unendlich sperrige Deklamation der deutschen Sprache beizuwohnen.

Das »Oh du, der du«-Grollen findet seine Entsprechung in der Sprache des Dichters. Trakls Welt — von Scardanelli, brav Alkohol in sich hineinschüttend, mit Leib und Seele interpretiert — ist erfüllt von todessehnsüchtigem Grausen und Melancholie. Seine Lyrik gestaltet Themen wie Vergänglichkeit — Purpurnes wird leichenblaß — Untergang und Auflösung in einer »eigenen suggestiven Bildsprache, die ihm eine singuläre Stellung in der deutschen Literatur gibt« (dtv- Lexikon).

Scardanelli kackt auf den voll mit Sumpfblüten faulender Sprachgewächse stehenden poetischen Kontinent: ein Land, über dem stets der Föhn weht, jener Südwind, der die Südbayern regelmäßig wahnsinnig werden läßt. Mit kreativer Inkontinenz, dem stets pressierenden Schaffensdrang eines begabten Künstlers versucht er, das schwermütige Gepolter des nervösen Trakl musikalisch zu illustrieren. Der Einsatz von Violine und Klavier freilich mißglückt. Das Pathos, das Trakl — bedauerlich genug — mit dem Tod bezahlte, erreichen die schrohen Klänge Scardanellis nicht. Für seine bombastische Mucke — ein Kreuz zum Hören zwar, aber ebenso hohl wie populäre nihilistische Popmusik — ist in der Deutschstunde kein Platz. Stefan Gerhard

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