Die geschundenen Kinder der Intifada

Drei Monate Haft für den Steinwurf einer 14jährigen/ Palästinensische Mädchen werden im Knast um ihre Kindheit gebracht  ■ Von Katrin Martens

In Abu Deis, einem palästinensischen Dorf in der Westbank, haben sich die Frauen der Nachbarschaft im Haus der Arikats eingefunden. Sie sind gekommen, um die 14jährige Tochter Shireen zu begrüßen, die nach dreimonatiger Haft in dem israelischen Gefängnis Hasharon in Tel Mond in die Familie zurückgekehrt ist. Am 27. Dezember letzten Jahres wurde sie auf einer Demonstration palästinensischer Schülerinnen in Jerusalem verhaftet.

„Ein Polizist rannte auf mich zu, faßte mich und zog mich an den Haaren zum Wagen. Drinnen stießen er und drei andere Polizisten meinen Kopf auf den Boden des Fahrzeugs, schlugen und beschimpften mich in obszöner Sprache. Dann kam eine Polizistin hinzu, die noch schlimmer auf mich einprügelte“, erzählt Shireen.

Beschuldigt, einen Stein auf das Polizeifahrzeug geworfen zu haben, wurde Shireen zum Jerusalemer Verhörzentrum „Russian Compound“ gebracht. Dort ließ man sie drei Stunden mit gefesselten Händen im Gang stehen. Beim darauffolgenden Verhör wurde sie brutal geschlagen. „Während des Verhörs schlug der Polizist mich und drohte mir Schlimmeres an. Ich wußte aber von den anderen Mädchen, die schon im Gefängnis waren, über diese Methoden Bescheid. Also versuchte ich möglichst gefaßt zu bleiben. Als er drohte, er würde mich vergewaltigen, bekam ich jedoch schreckliche Angst.“ Shireen legte ein Geständnis ab. Sie unterschrieb das Papier, das ihr in Hebräisch, einer ihr fremden Sprache, vorgelegt wurde.

Aufgrund der Tatsache, daß sie in Jerusalem verhaftet worden war, fand die Gerichtsverhandlung nach zwei Tagen statt. Für BewohnerInnen der besetzten Gebiete kann es bis zu 18 Tagen dauern, bis sie vor ein Gericht geführt werden. Oftmals wissen die Familien tage-, ja wochenlang nichts über den Verbleib der plötzlich verhafteten Angehörigen, und bei Nachfragen an den Polizeistationen erhalten sie keine oder eine falsche Information.

Anders bei den Arikats. Sie wußten sogleich um die Verhaftung der Tochter, bekamen Shireen aber erstmals im Gerichtssaal zu sehen. Das Mädchen wurde zu drei Monaten Haft und einer Geldbuße von 500 Dollar verurteilt. Drei Monate Haft für ein Kind, das laut Anklage einen Stein auf ein Fahrzeug warf. Während Shireen berichtet, hören die im Raum versammelten Mädchen aufmerksam zu. Sie nehmen die Erfahrungen der Freundin in sich auf, als könnten sie sich damit wappnen. Die Verhaftung Minderjähriger, den „Kindern der Intifada“, steht auf der Tagesordnung israelischer Okkupation. Dabei wird auch vor den Mädchen nicht Halt gemacht.

Für diese Mädchen macht sich die „Women's Organization For Political Prisoners“ (WOFPP) stark, eine 1988 in Tel Aviv gegründete Organisation, die Kontakte zu Frauen herstellt, die im Zusammenhang mit der Intifada oder anderen Formen des Widerstands gegen die Besatzung verhaftet wurden. WOFPP unterstützt diese Frauen mit rechtlichen und humanitären Mitteln und informiert eine breitere Öffentlichkeit mit Hilfe von Presseinformationen und ihren monatlich herausgegebenen 'newsletters‘.

Erfolg hatte die Organisation unlängst bezüglich des Verkaufs von Babynahrung und Windeln im Hasharon-Gefängnis, der erst auf ihre Intervention hin gewährleistet wurde. Eine wichtige Tatsache für Chitam, das Baby von Hiam Ghatyt, und Wattan, die quasi im Gefängnis geborene Tochter von Intisar El- Qaq. Das Gefängnis hatte bisher die Versorgung der beiden Babys der inhaftierten Frauen verweigert. Oft fehlt es aber auch den älteren Mädchen und Frauen am Notwendigsten. Vor der Kälte des Winters waren sie kaum geschützt, was Erkrankungen verursachte. Medikamente und medizinische Behandlung wird vielfach verweigert.

Aber auch aus dem Gefängnis entlassen zu sein, bedeutet für die Mädchen nicht immer das Ende von Schrecken und Gewalt. Die 17jährige Amal Auda Qabna aus dem Flüchtlingslager Aqabat Jaber bei Jericho etwa wurde im Alter von 15 Jahren das erste Mal verhaftet. Für eine Kaution von 200 Schekeln (etwa 450 Dollar) kam sie damals frei. Beim zweiten Mal waren es 1.000 Schekel (2.250 Dollar). Die Familien, ohnehin von einem geringen Einkommen lebend, verschuldete sich tief, um die Tochter vor dem Gefängnis zu bewahren.

Zuletzt wurde Amal, wieder unter der Anklage des Steinewerfens, zu einer Haftstrafe verurteilt. Am 6. Dezember letzten Jahres kam sie frei. „Am 23. Februar 1991, noch während der verhängten Ausgangssperre, fuhr ein israelischer Militärjeep auf das Gelände. Der Offizier rief: ,Du warst im Gefängnis!‘, als er mich auf der Treppe sitzen sah. Er befahl mir, zu ihm zu kommen, und als ich ging, fuhr er mich mit dem Jeep an.“

Amal fiel auf den Rücken und verletzte sich dabei. Als sie und ihre Mutter später zu verhindern suchten, daß der Offizier den 13jährigen Bruder Iad angriff, wurden sie mit Tränengasgranaten beworfen. „Der Offizier und die anderen zerrten Iad auf den Jeep, und einer zerschnitt ihm die Hand mit einem Rasiermesser.“ Amals Bruder Iad wurde einen Tag lang festgehalten, sie selbst mußte im Maqasset-Krankenhaus in Jerusalem behandelt werden. Die Aussicht darauf, daß einer der für solche Angriffe und Mißhandlungen Verantwortlichen verurteilt wird, sind so gering, daß von den Opfern in den seltensten Fällen Anklage erhoben wird.