Großer Katzenjammer bei der IG Metall

■ Gewerkschaft räumt Fehleinschätzung ein

Berlin (taz) — Bei der IG Metall ist der Katzenjammer groß. Zu der zentralen Kundgebung „Wir demonstrieren für Arbeit“ am Mittwoch in Berlin erschienen statt der erwarteten 150.000 Teilnehmer gerade mal 35.000. Wenn überhaupt: Journalisten sprechen von 15.000 Teilnehmern. Die Sonderzüge aus Gera, Leipzig oder Mecklenburg-Vorpommern waren so gut wie unbesetzt, aus dem Zwickauer Sonderzug mit 1.000 Plätzen kletterten 50 Demonstranten. Der Berliner CDU- Fraktionsvorsitzende Landowsky konnte seine Schadenfreude nicht verhehlen: Die Metaller seien nicht der Allianz von PDS, AL, Spartakisten und DGB auf den Leim gekrochen und seien verantwortungsbewußter als ihre Führung.

Die geringe Beteiligung, sagt die IG-Metall-Pressesprecherin Oposchinsky, „hat uns sehr nachdenklich“ gemacht. Die Abstimmung mit den Füßen sei aber keine grundsätzliche Entscheidung gegen die Gewerkschaft gewesen, sondern eine Fehleinschätzung des Vorstandes über die Mentalität der Kollegen im Osten. Zwar seien eine Million Metaller Mitglied in der IGM, aber die Identifikation mit „ihrer“ Gewerkschaft sei noch sehr unterentwickelt. Bei der nächsten Vorstandssitzung am 7. Mai wird der Punkt auf der Tagesordnung stehen. Ins Gericht wird die Gewerkschaft wohl mit den (West-)Vorstandsmitgliedern gehen, die sich für den Kundgebungsort Berlin ausgesprochen haben. Die Alternative, sagte Oposchinsky, wären gleichzeitige Kundgebungen in den Landeshauptstädten der fünf neuen Ländern gewesen. Vor allem aus Sachsen gab es Signale, daß Berlin der falsche Ort sei. „Dahin sei man früher abkommandiert worden“, meinte sie. Bestätigt wird ihre Einschätzung von dem Leipziger Gewerkschaftssekretär Harbor. „Berlin hat von früher her so einen unangenehmen Touch“, sagte er. Beide nennen als zusätzliche Gründe: die mangelnde Infrastruktur im Osten und die neuesten Initiativen der Bundesregierung, die Treuhand umzustrukturieren und Beschäftigungsgesellschaften einzurichten. Die Demonstration sei weit vor Ostern geplant gewesen, die politische Entwicklung habe die IG-Forderungen überholt. Auch der Pressesprecher des Berlin-brandenburgischen IGM-Büros, Böhme, will die äußerst geringe Beteiligung der Ortsansässigen nicht als Kritik an der eigenen Organisation verstanden wissen. In Berlin war der letzte Tarifabschluß heftig umstritten. Böhme konstatierte eine Resignation in den Betrieben und glaubt, daß die antigewerkschaftliche Agitation nach Rohwedders Ermordung viele demotiviert hat. „Aber so schnell lassen wir uns nicht umwerfen“, sagte er, „unsere Kompetenz zeigt sich nicht am Potsdamer Platz.“ Anita Kugler