GASTKOMMENTAR
: Opfer eines Dilemmas

■ Bei der Kurdenfrage geht es um politische Optionen und nicht um Bekennertum

Wir sind das intellektuelle Geschwätz vom „Schweigen der Intellektuellen“ gründlich leid. Es fordert Antworten, obwohl nicht einmal über die Fragen Klarheit herrscht. Wenn es denn eine intellektuelle Aufgabe gäbe, bestünde sie höchstens darin, politische Optionen zu benennen — nicht aber im Bekennertum.

Das neuerliche Massaker im Irak konnte geschehen, weil die Kurden leichtfertigen und doppeldeutigen Signalen aus dem Westen glaubten und sich gegen die Militärdiktatur Saddams erhoben, ohne daß oder bevor diese entmachtet, ja enthauptet war. Die westlich-arabische Koalition hat Saddam Hussein die Mittel belassen, um am inneren Feind zu exekutieren, was er mit den Kuwaitis begonnen und mit den Saudis und anderen „arabischen Brüdern“ im Sinn hat — und für die Juden anstrebt, solange er atmen kann. Halabja zeigt, daß nicht „der Krieg“ zur versuchten Ausrottung der Kurden führte, sondern daß die Entwaffnung Saddams nicht konsequent genug war.

Denn Saddam ist clever und versteht sich auf den Westen: Er konnte mit Bushs Zögern rechnen, das wir als zynisches und grausames Schulterzucken interpretieren. Aber nicht der mutmaßliche moralische Abgrund des amerikanischen Präsidenten interessiert, sondern ein Dilemma, das nun auch viele Friedensfreunde nachdenken läßt: Wer die Befreiung Kuwaits als Einmischung in innere arabische Angelegenheiten wahrnahm, kann jetzt nicht ohne weiteres amerikanische Einmischung zugunsten der Kurden fordern. Bushs Zögern war mies, aber nicht grundlos: Das Rechtsgut, daß Grenzen zu respektieren seien, sollte — im Hinblick auf eine gute internationale Ordnung — am Fall Kuwaits exemplarisch geschützt werden. Eine umstandslose Revision dieses Rechtsguts hätte das Mißtrauen nur bestätigt, daß amerikanische Politik den Verweis auf zu schützendes Völkerrecht nur propagandistisch einsetzt.

Die Kurden sind Opfer eines Dilemmas. Auf der einen Seite muß die innere und äußere staatliche Souveränität des Irak garantiert werden — eine Zerschlagung und damit „Libanonisierung“ des Landes stürzt die ganze Region in ein Desaster. Zum anderen nützt den Kurden kein zu erkämpfendes Selbstbestimmungsrecht, wenn nicht zugleich ein stabiler Staat dieses Recht auch garantieren kann. Diese beiden Erwägungen sind also wichtig; solange man aber nur sie im Sinn hat, springen die Kurden über die Klinge bloßer Staatsräson: höher noch rangiert das Interventionsgebot bei Verbrechen gegen die Menschheit. Bush hat jetzt das Gefährliche, aber Richtige getan.

Die Besetzung eines Landes fordert man nicht leichtfertig. Man darf Deutsche aber daran erinnern, daß ihnen der Oktroi westlicher Demokratie gut bekommen ist. Es gibt sicherlich den „anderen Irak“, wie es in den 30er und 40er Jahren das „andere Deutschland“ des Widerstands und des menschlichen Anstands gegeben hat. Aber dieses Deutschland hätte ohne alliierte Bajonette nie restauriert werden können. Amerika ist nicht das Reich des Guten, aber wenigstens eine Demokratie — an diesem Maßstab muß es sich messen lassen.

Friedensfreunde, die aus notorischem Mißtrauen gegenüber Amerika Kuwait opfern und Saddam weitermetzeln lassen wollten, unterschlagen, daß sie doch sonst nicht so pingelig sind und sogar den Beitrag Stalins zur Befreiung Deutschlands ohne Zaudern begrüßt haben.

Das in die Souveränität entlassene Mündel Deutschland sollte sich nicht zum Vormund erheben. Aber mit Wolldecken und Geldscheinen allein ist sein Beitrag nicht abgegolten. Claus Leggewie und Cora Stephan