Als das Rummelvergnügen Volkseigentum war

■ Der Kulturpark im Plänterwald, ein Ostberliner Rummelplatz in Treptow/ Vom VEB zur privaten Vergnügungs-GmbH

Treptow. »Klick« macht es, und der kleine, schwarze Kasten beginnt, leise zu summen. Zwei Hände drehen ihn unsicher, betasten seine Kanten und Rundungen. »Wo kommt denn das Foto nun raus?« fragt die junge Frau ihren Begleiter und streckt ihm das unheimliche Ding hin. Der gibt seine steife Pose auf, nimmt die Sofortbildkamera entgegen und ist offensichtlich ebenso unschlüssig. Schließlich schlüpft das bunte Hochglanzbild aus einem Schlitz, das Paar begutachtet das Ergebnis und ist zufrieden. Das Riesenrad im Hintergrund ist scharf und bunt zu erkennen; auch gefällt dem Mann sein Gesichtsausdruck. Während eine Stimme aus Lautsprechern plärrt: »Du hast mir gerade noch gefehlt zum Glück«, zieht das Paar in Richtung Würstchenbude davon, das Bild eines Glücksmoments sicher in der Tasche verstaut.

Seit Eröffnung der Saison des Rummelplatzes in Treptow können die Besucher an einem Stand direkt hinter dem Eingang für fünfzig Pfennig eine solche Polaroidkamera leihen, pro Bild drei Mark. Die meisten laufen allerdings vorbei, auf die billigeren und vergänglicheren Vergnügungen zu, hinein in die grellbunte Welt der Schaubuden. 83 »Einrichtungen« zählt der Kulturpark im Plänterwald in diesem Jahr, Kettenkarussell, Riesenrad, Wildwasserbahn, Rutsche und Imbißbuden. An diesem sonnig-kalten Frühlingswochenende drängen sich Hunderte von Ausflüglern durch die Gassen zwischen den Buden. Kinder zerren an ihren Eltern, schleppen riesige rosafarbene Stofftiere wie Trophäen mit sich herum. Ein paar Männer haben einen Vorrat an Bierflaschen neben einer Bank deponiert und leeren diesen nun gemeinsam.

Langjährige Schausteller fürchten die Abwicklung

75 Mitarbeiter arbeiten hier seit vielen Jahren. Vielleicht nicht mehr lange. Alle haben nur bis zum Saisonende befristete Arbeitsverträge, die Direktorin Gisela Brederlow, von Anfang an im Kulturpark beschäftigt, eingeschlossen. Sie sind nun Angestellte des Senats mit Gnadenfrist bis zum 23. Oktober. Denn auch der Kulturpark Berlin, dieses dreiundzwanzig Jahre alte und 160.000 Quadratmeter große Vergnügungsgelände neben den Bäumen des Plänterwaldes unweit der Spree, ehemals ein volkseigener Betrieb, soll privatisiert werden. Droht den kommunalen Unterhaltern die Vertreibung?

»Eine Stadt kann doch keinen Rummel verwalten«, hatte der Vorsitzende des Schaustellerverbandes den Vorschlag der kommunalen Betreiber kommentiert, die die Gründung einer stadteigenen GmbH gefordert hatten. Dem Schaustellerverband, dem die privaten Unterhalter angehören, schwebte dagegen eine Betreiber-GmbH unter Einbindung der kommunalen Schausteller vor. Senat und Magistrat legten fest, daß diejenigen »Einrichtungen und Teileinrichtungen abzuwickeln, das heißt aufzulösen oder in freie Trägerschaften zu überführen sind, die an das Land Berlin übergehen« — darunter befindet sich eben auch der Kulturpark. Viele der alteingesessenen Schausteller haben Angst, von privaten Betreibern verdrängt zu werden. Jetzt soll das Grundstück zwar in kommunalem Besitz bleiben, aber an einen privaten Träger verpachtet werden, wobei alle langjährigen Arbeitskräfte nach Möglichkeit übernommen werden sollen.

Bis jetzt haben nur einzelne westliche Schausteller ihre Standorte bezogen, etwa eine Wormser Wildwasserbahn namens »Wild River«, Eigenwerbung: »ein ausgemachter Knüller, der tollkühne Fahrten durch einen mit Spreewasser gespeisten Kanal verspricht«. Ansonsten sind die traditionellen Rummelplatzgeräte geblieben und unterscheiden sich kaum von ihren westdeutschen Ebenbildern. Nur die Fahrpreise verraten die nichtkapitalistische Herkunft: Sie liegen meist seit Jahren bei einer Mark, im »Bummi« wie auf dem Karussell. Vielleicht sind die Buden nicht ganz so knatschig bunt, die Faszination des High-Tech noch nicht ganz so präsent wie auf einem Rummelplatz im Westen Berlins; vielleicht fällt auf, daß die Kassenhäuschen überall noch so gleich aussehen wie früher die Speisekarten, daß die Achterbahn kein einziges richtiges Looping macht. Aber egal, ob mit oder ohne Looping — jeder kann sich hier für ein paar Mark ein paar Stunden Vergnügen erkaufen.

Achterbahn ohne richtiges Looping — egal

»Man muß etwas ernst nehmen, wenn man überhaupt Vergnügen im Leben haben will«, schrieb Oscar Wilde in Bunbury. In der ehemaligen DDR wurde das Vergnügen durchaus ernst genommen. Der »VEB Kulturpark Berlin«, schrieb die Wochenzeitung 'Der Sonntag‘ im Jahre 1985, »gehört zu jenen Kulturbetrieben, die auf ein Bedürfnis treffen, über das nicht mehr gestritten werden muß. Oder sollte es doch noch Zeitgenossen geben, die das Riesenrad nur mit gequältem Lächeln dem Bereich Kultur zuzurechnen bereit sind?« Auch wenn es solche Genossen sicherlich gab — der »Beirat für die Entwicklung des volkseigenen Sektors Volksfesteinrichtungen und für die Förderung und Entwicklung des Schaustellerwesens« beim Ministerium für Kultur pflegte die Bedürfnisse des Volkes nach Zerstreuung. Für die Eröffnung des Massenvergnügungsortes wurde ein historisches Datum gewählt: Als im Oktober 1969 der Kulturpark Plänterwald mit großem Pomp eröffnet wurde, feierte die DDR mit ebensolchem das zwanzigste Jahr ihres Bestehens.

Neunzehn Jahre lang drehte sich das Wahrzeichen des Rummels, das Riesenrad, dann wurde es ausgetauscht. Als die ersten Gäste in die Gondeln des neuen, in Holland gebauten Gefährtes stiegen, ahnten sie nicht, daß sie etwas über einen Monat später durch den Teil Berlins spazieren könnten, den sie aus 45 Metern Höhe im Westen liegen sahen: Die Jungfernfahrt fand am 7. Oktober 1989 statt. Nun sitzen ein paar junge Westberliner dort oben. Sie seien »aus Bock und Neugierde« hier, sagen sie. Der Blick reicht über die Spree auf die Industrieanlagen auf dem gegenüberliegenden Ufer. Am Wochenende schweigen die Werften und das Kraftwerk Klingenberg, nur ab und zu hupt ein Lastschiff durchdringend. Die Jauchzer der Rummelplatzbesucher klingen gedämpft.

Über 20 Millionen Gäste wurden seit Eröffnung des dreißig Hektar großen Gelände gezählt. Über 60 Millionen Mal vergnügten sie sich auf den betriebseigenen Fahrgeschäften, gondelten auf dem Riesenrad, sausten durch die Autoarena, drehten sich im Kosmodrom und quietschten auf der Achterbahn — und fuhren damit, so die nüchterne Bilanz der Veranstalter, durchschnittlich dreimal. Auch die Kultur fand nach dem sozialistischen Kalender statt: »Kulturelle Veranstaltungen mit Volksfestcharakter« gab es zum 1. Mai, zum Nationalfeiertag und weiteren gesellschaftlichen Höhepunkten. Alle Jahre wieder zogen die Lokalreporter los, um stöhnend— darin ihren mit dem Oktoberfest geschlagenen Münchner Kollegen ganz ähnlich — immer neue und sich doch ewig gleichende Geschichten zu verfassen oder in Prosa zu seufzen, wie in der konservativen 'Neuen Zeit‘ geschehen: »Über einen Vergnügungspark zu schreiben, zumal noch mit dem Ziel, andere dorthin zu locken, sollte eigentlich etwas Lustiges, vom Überschwange der sich frei entladenden Lebenslust Getragenes sein. Vielleicht ist der Herbst aber gar nicht angetan, Jubel, Trubel und Heiterkeit zu zeigen — ist er doch eher von der Wehmut zurückliegender Ereignisse durchzogen, die fern aus der Vergangenheit herüberleuchten...«

Nur, wo ist hier die Kultur?

Vielleicht. Heute scheint die Frühlingssonne den drei Mädchen ins Gesicht, die colatrinkend an einem Tischchen hocken. Ihre Augen haben sie hinter dunklen Sonnenbrillen verborgen; weniger wegen der Sonne, als vielmehr, um ungestört die jungen Männer taxieren zu können. Erst einmal erscheint eine Gruppe von bleichgesichtigen und schwarzgewandeten Gruftis, die das Treiben um sie herum nicht zu beachten scheinen. Für sie scheint der Kulturpark ebenso ein Treffpunkt zu sein wie für die Ausflüglerfamilien mit ihren Kindern.

Aber wo ist hier die Kultur? Direktorin Gisela Brederlow hat für diese Saison ein paar Kleindarsteller verpflichtet, eine Countryband und ein Kindertheater. Sie würde gerne etwas mehr machen, sagt sie und klingt dabei recht resigniert. Zum Beispiel das Gelände aufforsten, damit man dort richtig spazierengehen kann. Die Fahrgeschäfte seien ganz in Ordnung, »höchstens visuell müßte man noch was verändern«.

Noch ist das Vergnügen für alle erschwinglich. Und noch ist der Kulturpark nicht nur ein Rummelplatz, er ist auch ein Ort, an dem sich die Bewohner der angrenzenden Bezirke treffen, um für ein paar Stunden aus dem Alltag aufzutauchen — und vielleicht ein kleines Foto nach Hause zu tragen. Karen Pfundt