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Teppichweben, Würfelwerfen

Zu einigen neueren CD-Aufnahmen von Morton Feldman und John Cage  ■ Von Hanns Zischler

Was geschieht, wenn Musik erklingt und virtuell nicht mehr verklingt? Wenn sie ihren fraglosen (traditionellen) Vektor, ziel- und zeitgerichtet zu sein, eingebüßt oder einfach über Bord geworfen hat? Was geschieht, wenn das Auditorium die beim Hören immer neu aktivierten Erwartungen auf eine finale Erfüllung, auf ein Finale, im Nicht-Verlauf einer solchen Musik — und daß sie nicht verläuft, ist fast schon eine metaphorische Definition ihrer Praxis — schwinden und versinken sieht? Was geschieht, wenn die Enttäuschung darüber zur Erleichterung und die Erleichterung nach und nach von einer Trauer grundiert wird, für die es keine hinreichende Erklärung,allenfalls eine hilflose Konstatierung gibt? Wie das von Francis Ponge beschriebene Wasser ist die Musik Feldmans „das Gegenteil von excelsior — stets weiter hinab, das scheint ihr einziger Wahlspruch, ihre endgültige Bestimmung zu sein“. Fragen an eine wahrhaft saumselige Musik.

In seinem Essay (zu) Crippled Symmetry (liegt der Doppel-CD bei) erzählt Morton Feldman: „Auf meinem Fußboden liegt noch ein anderes Webstück aus Anatolien, das ich gern als Jasper-Johns-Teppich bezeichne. In ihm ist ein Schachbrettmuster verborgen, dessen Farben, ohne eindeutig systematische Verteilung, das Muster lediglich frei wiederholen. Eingewirkt in den (unregelmäßig abgetragenen) schimmernden Flor aus der Bergregion von Konya — in den älteren Rosatönen und den helleren Blautönen — fand ich den ersten Hinweis, daß ich davon etwas lernen, ja vielleicht sogar auf meine Musik anwenden könnte.“

Daß Feldman allen Ernstes und mit äußerster Hingabe die Kunst der türkischen Teppichweber sich zu eigen gemacht hat beim Komponieren (ohne die aktuelle Kunst, zum Beispiel eines Jasper Johns aus den Augen zu verlieren), darf nicht als Schrulle oder gar Täuschungsmanöver mißverstanden werden. Die sprachlichen Grenzen der Erklärung von Musik waren diesem versatilen Geist sehr bewußt, und folgerichtig operierte er mit weit ausgespannten Metaphern, um diese Grenzen deutlich zu machen.

In den meisterhaften Einspielungen von Eberhard Blum, Nils Vigeland und Jan Williams — allesamt Musiker, die mit Feldman lange zusammengearbeitet haben und die er „im Kopf“ hatte, wenn er seine Stücke sich aufgeführt vorstellte — erweist sich der ganze Triumph der digitalen Aufnahmetechnik. Feldmans extrem leise Stücke lassen sich reproduziert nur noch mit Hilfe dieser Technik realisieren.

Ein glücklicher Zufall (vulgo: der Markt) will es, daß gleichzeitig mit Erscheinen dieser Einspielung eine etwas ältere Aufnahme (1984) von Feldmans For John Cage jetzt erhältlich ist — mit Paul Zukovsky (Violine) und Marianne Schroeder (Klavier). Dieser Disc liegt ein ausführlicher Brief Zukovskys an Feldman bei, in dem in geraffter Form einige grundsätzliche Fragen und Annäherungen an Feldmans Komponieren formuliert werden. Eigentümlich berührt an dieser Aufnahme — Feldman hat einmal auf den Hinweis, dieses 77 Minuten dauernde Stück sei ein Tanz, repliziert, „wenn schon, dann Totentanz“ —, daß durch die extrem präsente Mikrophonausrichtung auf die Geige der Atem Zukovskys überdeutlich zu vernehmen ist. Was beim ersten Hören noch befremdet, gewinnt nach und nach die Kontur einer unvermeidlich pneumatischen Schraffur, ohne welche eine derart monumentale Aufführung einfach nicht zu leisten ist. Sie ist der hörbare Abdruck dieser Leistung.

Auf den ausschließlich den Klavierstücken Feldmans reservierten Aufnahmen Piano, gespielt von Marianne Schroeder mit makelloser Zurückhaltung, läßt sich Feldmans Schaffen von den extrem kurzen Stücken Anfang der fünfziger Jahre bis zu den sehr langen (von etwa 1977 bis zu seinem Tod 1987) exemplarisch studieren. Die Witwe, Barbara Monk Feldman, selbst Komponistin, hat der Aufnahme einen instruktiven Essay beigefügt, in dem Feldmans lebenslanges, enges Verhältnis zur Malerei, gewissermaßen sein Ohr für Malerei, hervorgehoben wird.

Unter dem Titel Music for Five sind bei „hat ART“ zwei CDs von John Cage erschienen, darunter zum ersten Mal in englischer und deutscher Version (übersetzt von Ernst Jandl) das große Musikstück 45' for a Speaker, zusammen mit den etwas kürzeren Pendants für Klavier, Percussion und Saiteninstrument. Es ist wortwörtlich atem-raubend, was die englische Stimme von Frances-Marie Uitti und die deutsche von Eberhard Blum mit dem Text von Cage veranstalten, besser: was der Cage- Text mit diesen Stimmen macht. Ein phonetisches Würfelspiel, in dem die Silben zwischen der Fast-Dyslexie (und fast dyslexia, so to speak) und der Sprache der Mitteilung hin- und hertoben.

Spricht man von CDs, lobt man für gewöhnlich die Aufnahmetechnik, freut sich über den handlichen Diskus und ärgert sich über die zu Augenpulver und Mäusedruck geronnenen, zwischen Plastiköhrchen eingequetschten Druckbeilagen. Im Falle der beiden Doppel-CDs von Feldman und Cage ist der Künstlerin Ann Holyoke Lehmann ein Meisterstück überlistender, klarer Gestaltung gelungen — und dem Verleger Uehlinger sei gedankt, daß er auch im Erscheinungsbild einen Maßstab hat setzen helfen. Statt der Quetschblättchen liegt in einem Pappschuber zwischen den CDs ein 5x6fach gefaltetes großes Blatt bei, die Vorderseite abwechselnd rot und schwarz in eigens entworfener nüchtern-schöner Schrift bedruckt, die Rückseite mit übersichtlich verteilten Daten, Fotos und Texten versehen. Mise- en-page oblige.

—Morton Feldman: Why Patterns? Crippled Symmetry , First recordings by Eberhard Blum (Flöte), Nils Vigeland (Klavier), Jan Williams (Glockenspiel und Vibr.), hat ART CD 2-6080

—Morton Feldman: Piano , Marianne Schroeder (Klavier), hat ART CD 6035

—John Cage: Music for Five , First recordings by Eberhard Blum (Flöte und Stimme), Marianne Schroeder (Klavier), Robyn Schulkowsky (Percussion), Frances-Marie Uitti (Violoncello und Stimme), Nils Vigeland (Klavier), hat ART CD 2-6070

(hat ART ist zu beziehen: Deutschland-Helikon, Heidelberg; Österreich-Extraplatte, Wien; Schweiz-Plainisphare, Vich.)

—Morton Feldman: For John Cage , Paul Zukovsky (Violine), Marianne Schroeder (Klavier), CP 2-101, Musical Observations, inc.

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