Die „Patriots“ vom Himmel geholt

Der rüstungspolitische Höhenflug der Wunderwaffe kommt ins Trudeln  ■ Aus Washington Rolf Paasch

Das Foto auf der ganzseitigen Anzeige im 'Wall Street Journal‘ war beeindruckend: Über dem dickgedruckten Schriftzug der Rüstungsfirma „Raytheon“ schraubt sich die gleißende Patriot-Rakete in den Nachthimmel über Tel Aviv, um in den nächsten Sekunden das angreifende Scud-Geschoß Saddam Husseins unschädlich zu machen. Doch nach dem so berauschendenden Erfolg der Patriots im Golfkrieg schickte sich vor dem Militärausschuß des US-Repräsentantenhauses in dieser Woche eine Gruppe von Wissenschaftlern und Raketenexperten an, den rüstungspolitischen Höhenflug der Abwehrrakete zu stoppen. Die Patriots, so die ketzerische These, habe den durch die Scuds angerichteten Schaden nicht verringert, sondern möglicherweise gar vergrößert.

Während des Golfkriegs waren insgesamt 158 Patriot-Raketen (Stückpreis knapp eine Million Dollar) abgefeuert worden und hatten angeblich 45 irakische Scud-Raketen abfangen können. Die Erfolgsrate der Wunderwaffe war dabei schon zwischen den Militärexperten der USA und Israels umstritten. Während die US- Army von einer Abschußrate von rund 95 Prozent ausging, sprachen die Israelis von ganzen 20 Prozent. Beide Seiten haben ihre Gründe für die unterschiedliche Einschätzung der Patriot-Wirkung. Die US-Armee möchte gerne mehr Gelder für mehr Patriots. Die Israelis wollen dagegen die Dollars für die Entwicklung ihrer hauseigenen Arrow-Rakete verwendet wissen.

Doch Wissenschaftler des hochangesehenen Massachusetts Institute of Technology (MIT) äußerten jetzt noch größere Zweifel am militärischen Nutzen der Patriot, die im Golfkrieg zum Symbol für die Überlegenheit US-amerikanischer Kriegstechnologie wurde. Die Patriots, so erkärte Professor Theodore Postol den verdutzten Mitgliedern des Kongreßausschusses, hätten die Sprengköpfe der Scuds nur in den seltensten Fällen zerstört und das irakische Geschoß oft in mehrere, aber immer noch gefährliche Bestandteile zersplittert. Postol zitierte eine Auflistung der israelischen Zeitung 'Ma'ariv‘, derzufolge die Zahl der israelischen Scud- Opfer nach dem Einsatz der Patriot-Batterien um das Siebenfache angestiegen sei. „Ich verstehe, daß dies eine beunruhigende Schlußfolgerung ist, aber sie ist durchaus möglich“, erklärte Postol den Kongressabgeordneten seine These von der Verschlimmerung der Scud-Schäden durch die hochgelobte Abwehrrakete.

Diese revisionistische Interpretation der Patriot-Bilanz hat nicht nur die Hochstimmung bei den Kriegsgewinnlern der Firma Raytheon gewaltig gedämpft. Seit Kriegsende hatte der Kongreß insgesamt 312 Millionen Dollar für Hunderte neuer und verbesserter Patriot-Raketen bewilligt. Jetzt fürchtet nicht nur der zunächst euphorische Rüstungskonzern, sondern die ganze SDI- Lobby um die rüstungspolitischen Früchte des Golfkrieges. Der „technologische Pessimismus“ der MIT- Forscher, so befürchtet der Reagan-Rechte und Befürworter des Star-Wars-Programms, Richard Perle, könnte negative Auswirkungen auf die gesamte Debatte über die Finanzierung der Raketenabwehr im Rahmen der SDI-Initiative haben.