Robinsons und Crusoes

■ Ein neues Stück vom Theater Rote Grütze

Lang, lang ist's her, seit dem kategorischen Imperativ des „Vögle dich frei“ für Menschen ab acht. „Du mußt dich mit dem Orientalen gut stellen, wenn du selbst überleben willst“, heißt heute die Moral von der Geschicht', wie sie die neueste Produktion der neuen „Roten Grütze“, eine Art Nachbereitungsstück zum Golfkrieg, verabreicht. Dem Berliner zumindest ist die Dringlichkeit des Anliegens klar: Unsere Kreuzberger Jugend möge im Ausländer nicht nur einen Moslem und Saddam-Parteigänger sehen. Im Programmheft steht deshalb auch: Mit Robinson & Crusoe „erlebt der Zuschauer, wie kulturelle Distanzen und feindschaftliche Gesinnungen aufgebrochen werden, Vorurteile zugunsten von Achtung und Zuneigung gegenüber dem Fremden verschwinden“.

Das Dumme ist nur, daß seit der Verkindischung des alten edlen Defoeschen Robinson-Crusoe-Stoffes durch Nino d'Introna und Giacomo Ravicchio (die dieses Stück seit sechs Jahren „von Montreal bis Melbourne über 500mal quer über den Globus gespielt“ haben) der Golfkrieg stattfand. Aus aktuellem Anlaß wird daher die Insel in eine Wüstenoase verwandelt, damit der Mensch von acht in „dem Europäer“ und „dem Orientalen“, als welche die Protagonisten, abgestürzte Piloten, im Programmheft bezeichnet werden, „den Ami“ und „den Iraki“ erkennt. Aus Robinson Crusoe werden Robinson und Crusoe, während der schwarze Freitag gar nicht auftaucht. Die Inszenierung von Jürgen Zielinski bemüht sich erst gar nicht um die Entwicklung der behaupteten Nähe oder Distanz. Klischees werden pantomimisch bedient: Der in der verlassenen Wüstenoase Notgelandete sucht als erstes den Feind, bekämpft, fesselt und quält ihn, noch bevor er den Mund auftut und ihn als einen, den er gar nicht versteht, erkennt.

Das pädagogisch Wertvolle dieser Inszenierung besteht wohl darin, daß in der Rote-Grütze-Version von Robinson & Crusoe „der Europäer“ mit der Aggression beginnt und „der Orientale“ ihn erst hinterher im Racheakt quält. Die beiden ersten Bilder sind und machen in ihrer Hampeligkeit sprachlos. Die kühle Reaktion des Publikums zeigte, daß mit Besen und Schlauch ausgeführte Nahkämpfe auch den jungen Menschen langweilen.

Als die Protagonisten sich dann doch ihres Mundes erinnern und ihr Mißverstehen endlich zur Sprache bringen, kommt etwas Komik ins Spiel. Die beiden Darsteller Stefan Mehren und Erik Schäffler sind in der Tat Robinsons und Crusoes, sie sind zur sprachlichen Auseinandersetzung, Anfeindung und Anfreundung mehr begabt. So wechseln sie sich kameradschaftlich ab beim Pumpen, beim Mäusefangen und -laufenlassen — jetzt gibt es plötzlich gar keine Differenzen mehr, für eine winzige Maus schlägt beider ausgehungertes Herz gleichermaßen hoch. Der Orientale ist freilich der etwas Naivere, der den anderen „Idiot“ nennt, weil er denkt, daß das ein Kosewort ist; er trinkt umgehend mit seinem neuen Freund Schnaps. Er läßt den Europäer die Botschaft an die Freunde verfassen, darüber, daß das Wetter im allgemeinen schön ist, sie im besonderen aber doch lieber gerettet werden möchten. In ihrer hitzigen Verbundenheit sehnen sie sich auch gemeinsam eine Frau her, streicheln jeweils einen Arm eines Pullovers, die harten Sitzlehnen des gemeinsam liebkosten Stuhls frustrieren sie dann auch gleich. Das Angebot des Orientalen zu gemeinsamem Tanz samt körperlicher Annäherung weist der Europäer indes schroff zurück. In Unterhosen ist einer wie der andre — auch dieser Beweis wird erbracht.

Zum guten Schluß siegt die zivilisierte Kommunikation. Man verständigt sich darüber, ausreichend Wasser für den Gang durch die Wüste zu sammeln. Auch wenn noch mal eine kleine Differenz über den einzuschlagenden Weg aufbricht — dem sie überfliegenden Hubschrauber sehen sie doch in gemeinsamer Sehnsucht verbunden nach.

Eingelassen in das Tal aus Nesseltuch im Altarraum der Berliner ölbergkirche, wo die Premiere stattfand, fand solchermaßen ein Appell zur Völkerverbundenheit statt. Die Lichtregie kannte allerdings nur die Primärfarben — die Frau um die 99 versteht nicht, wie er dann den 91 Jahre Jüngeren einleuchten soll. Michaela Ott

Theater Rote Grütze: Robinson & Crusoe , nach einer Idee von Nino d'Introna und Giacomo Ravicchio. Regie: Jürgen Zielinski, Bühne: Stefan Ahrens, mit Erik Schäffler und Stefan Mehren. Nächste Aufführungen: 23./24.4. Ölberggemeinde Berlin.