Der jugoslawische Dinar verliert rapide an Wert

■ Abwertung um 44,5 Prozent gegenüber der DM, aber Skepsis überwiegt/ Schockprogramm der Bundesregierung soll Wirtschaft vor Kollaps bewahren

Belgrad/Berlin (taz) — „Gedanken eines Seiltänzers“, kommentierte eine kroatische Zeitung am Sonntag die jüngste Abwertung des Dinars. „Ein selbsternannter Retter ohne Realitätssinn“, meinte der slowenische Ministerpräsident Lojze Peterle — und beschuldigte den jugoslawischen Regierungschef Ante Marković gleich, Reglementierungen und Disziplinierungen in einem Ausmaße zu betreiben, „wie es heute nicht einmal mehr die dogmatische Armeespitze wagt“.

Peterle und der kroatische Präsident Franjo Tudjman geben sodann offen zu, sie wollten Marković „zum Teufel jagen“ (Tudjman). Aus ihrem Autonomiestreben heraus völlig zu Recht bezeichnen sie ihn als Störfaktor. Nur die Angst, nach einem Sturz Marković' könnte ein Militärputsch drohen, hielt die Slowenen, Kroaten, aber auch Serben und Mazedonier davon ab, dem Ministerpräsidenten des Gesamtstaates die Vertrauensfrage im Parlament zu stellen.

Dabei hält sich das am Freitag verkündete Reformpaket in Grenzen: Mit zwölf Sondergesetzen sollte der ökonomische Kollaps in letzter Minute abgewendet werden. Doch außer der Dinar-Abwertung, die vor allem Kleinsparer und die importabhängige Industrie trifft, wurde über das Wochenende nichts umgesetzt.

Die Abwertung allerdings ist saftig: um 30,7 Prozent nach den Maßstäben des Internationalen Währungsfonds (IWF), der mehrere Währungen zur Berechnung heranzieht, um sogar 44,5 Prozent gegenüber der Mark, an die der Dinar nun im Verhältnis 13:1 gekoppelt ist. Seit Jahresbeginn waren es 9:1. Während die Schwarzmarkt-Kurse im In- und Ausland nach der Hyperinflation des letzten Jahres bei 500:1 bis 1000:1 liegen und nach ersten Erfolgen die Geldentwertung bereits wieder 100 Prozent erreicht hat, soll die offizielle Schocktherapie vor allem den Export anregen. Dem Konzept, jugoslawische Waren für das Ausland stark zu verbilligen, wird allerdings in bundesdeutschen Bankenkreisen keine großen Überlebenschancen eingeräumt. Vermutet wird eher, daß die Exportindustrie ihre Preise nicht senkt, damit die erneut rapide steigenden Kosten aufgefangen werden können.

Die anderen Maßnahmen des Notprogramms richten sich in erster Linie gegen den Wirtschaftskrieg zwischen den sechs jugoslawischen Republiken, der in den letzten Wochen bis ins Absurde eskaliert. Als der kroatische Ölkonzern INA dem „Todfeind“ Serbien Ende Februar kurzerhand den Ölhahn zudrehte, weil der serbische Präsident Milosević in den Serbenenklaven Kroatiens die Bevölkerung zum „Aufstand“ gegen Zagreb aufrief, enteignete Belgrad über Nacht kroatische Firmen auf seinem neu ausgerufenen „Staats“-Territorium, darunter 178 INA-Tankstellen im Wert von 150 Millionen Dollar — und gleich einige mit dem INA-Konzern kooperierende Firmen mit dazu. Zudem wurden „Sonderabgaben“ auf den „serbischen“ Büroraum slowenischer und kroatischer Firmen erhoben.

Die Kroaten reagierten zügig: Auch sie verhängten „Sonderabgaben“ und enteigneten — und vertrieben gar mit Polizeigewalt — serbische Ferienhausbesitzer an der Adriaküste ins „Mutterland“. Diese Raubaktionen werden inzwischen an allen Küsten betrieben.

Um der „nationalen Vergiftung“, so Ante Marković vor dem Bundesparlament am Freitag, Einhalt zu gebieten, werde er weiter an seinem „wirtschaftlichen Schockprogramm“ arbeiten, an gesamtjugoslawischen Marktgesetzen, die dem derzeitigen Handelskrieg und den „Strafsteuern“ keine Freiräume mehr ließen. Und so macht dessen Regierung — ohne Legimität im eigenen Lande zu besitzen — weiter wie bisher, streng nach den Wirtschaftsauflagen des IWF und nach Vorstellungen der EG, die Marković nach wie vor großes Vertrauen entgegenbringt.

Während der Prophet im eigenen Land nichts gilt, werden seine Verdienste im Westen geschätzt. In der Tat sind seine Wirtschaftserfolge für „balkanische“ Verhältnisse beachtlich. Als er das Steuer übernahm, leistete sich Jugoslawien eine Hyperinflation von bis zu 6.000 Prozent, eine Auslandsschuld von über 20 Milliarden Dollar bei knapp 22 Millionen Einwohnern. Die Inflationen drückte Marković auf knapp zehn Prozent, der Schuldenberg wurde auf 16 Milliarden Dollar verringert, der Dinar an die DM gekoppelt. Als rechte Hand engagierte der Premier den berühmten wie auch umstrittenen Harvard-Professor Jeffrey Sachs, dessen Schocktherapie anfangs auch Fuß faßte.

Sachs wie Marković und hinter ihnen auch die internationale Bankenwelt glauben, ihre unpopulären Maßnahmen, die eine Arbeitslosenrate von nahezu 20 Prozent auslöste und eine Verarmung breiter Bevölkerungsschichten mit sich brachte, sei der einzig richtige Schritt gewesen, um das heruntergekommene Jugoslawien wieder aufzurichten. Beide jedoch haben aus den Boykottaktionen der Republiken keine Lehren gezogen. Die angestrebte Privatisierung wurde in allen Republiken gestoppt, auch in Slowenien und Kroatien, die verbal für die Marktwirtschaft eintreten, aber ihrer Bevölkerung weitere Probleme derzeit nicht aufhalsen wollen.

Alle Reformen sind mittlerweile gescheitert, weil sich die Bankinstitute der Republiken inzwischen wie Service-Institute für die Staatsbetriebe verhalten. Geplatzt ist auch die Sparpolitik der Bundesregierung, weil die serbische Nationalbank kurzerhand Banknoten im Wert von 800 Millionen Dollar druckte, um damit ausstehende Löhne und Renten zu bezahlen. Der traditionelle Rettungsmechanismus für die jugoslawische Wirtschaft, der Adria-Tourismus, fällt in diesem Jahr ins Wasser. Die Gäste bleiben aus, sie haben Angst vor der Bürgerkriegsgefahr. Beobachter glauben, zu den nationalistischen Ausschreitungen gesellten sich bald Streiks und ein unvorstellbares Wirtschaftschaos, das auch das Flickwerk wie Dinar-Abwertung und neue Export- und Importbestimmungen nicht aufhalten werden. Einen kleinen Vorgeschmack gab es letzte Woche. Ein Drittel aller serbischen ArbeitnehmerInnen, 700.000 Beschäftigte der Bekleidungs- und Metallindustrie, traten in einen zweitägigen Aufstand, um höhere Löhne zu erzwingen. Die serbische Republikführung zahlte prompt. Auf welchem Weg das Geld beschafft wurde, wird bald zu erfahren sein.

R. Hofwiler/D. Bartz