Junker und Co. abgeschmettert

■ Der deutsche Einigungsvertrag erklärte die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone bis 1949 für unumstößlich. Karlsruhe wies gestern alle Verfassungsklagen dagegen zurück.

Junker und Co. abgeschmettert Der deutsche Einigungsvertrag erklärte die Enteignungen in der sowjetischen Besatzungszone bis 1949 für unumstößlich. Karlsruhe wies gestern alle Verfassungsklagen dagegen zurück.

Der Beschluß des Ersten Karlsruher Senats fiel einstimmig: Für 3,2 Millionen Hektar Land, rund ein Drittel der Fläche der neuen Länder, und unzählige Industriebetriebe ist damit die seit langem strittige Eigentumsfrage geklärt: Die nicht bezifferbaren Milliardenwerte, die nach der Vereinigung zu 80 Prozent unter die Verfügungsgewalt der Treuhandanstalt fielen, gehen nicht an ihre alten Eigentümer zurück. Der Gesetzgeber muß jedoch, so will es das Verfassungsgericht, auch für die „Enteignungen auf besatzungsrechtlicher und besatzungshoheitlicher Grundlage“ eine finanzielle „Ausgleichsregelung“ schaffen, deren Höhe der Staat allerdings nach seinen eigenen „finanziellen Möglichkeiten“ ausrichten darf.

Die damaligen Enteignungen könnten nicht dem Verantwortungsbereich bundesdeutscher Staatsgewalt zugerechnet werden, heißt es in der Begründung für den Beschluß. Nach der Rechtslage sei den Betroffenen nach dem Vollzug der sowjetischen Enteignungsmaßnahmen keine „vermögenswerte, durchsetzbare Rechtsposition“ verblieben. Der umstrittene Passus im Einigungsvertrag, der die Enteignungen festschreibt, war von Bundestag und Bundesrat extra noch einmal durch eine Einfügung ins Grundgesetz (Artikel 143) abgesichert worden.

Über 50 um ihre Ländereien gebrachte Ex-Grundbesitzer und deren Erben waren daraufhin nach Karlsruhe gezogen, im Interesse von rund 12.000 Betroffenen, Junkern, Gutsbesitzern, Schloßherren und Industriellen. Ihr Ziel: Die Eigentumsverhältnisse von 1945 sollten durch Rückgabe wieder hergestellt werden. Die Enteignungsmaßnahmen seien „Unrechts- und Willkürakte“ gewesen, so hatten die Beschwerdeführer argumentiert, die der Gesetzgeber nicht hinnehmen oder gar durch eine Verfassungsänderung festschreiben dürfe.

Auch nach dem „kommunistischen Raubzug“ (Klägeranwalt Rüdiger Zuck) habe noch ein Rechtsanspruch der Betroffenen bestanden. Sein Vorwurf an die Regierung: Während seine Mandanten von den Bonner Unterhändlern des Einigungsvertrages in vorauseilendem Gehorsam gegenüber den Sowjets quasi ein zweites Mal enteignet worden seien, wolle sich nun der Fiskus an der „Beute der Bodenreform“ bereichern. Außerdem sei auch der Gleichheitsgrundsatz (Artikel 3, Abs. 1) verletzt worden, da Enteignungen vor und nach 1949 unterschiedlich behandelt würden.

„Voraussetzung für die deutsche Vereinigung“

Die Karlsruher Richter wollten dieser Argumentation nicht folgen. Der Gesetzgeber habe nicht gegen das Verfassungsrecht verstoßen, indem er eine Rückgabe des konfiszierten Eigentums ausschloß; die Passage im Einigungsvertrag verletze auch nicht die Grundrechte. Das Gesetzgebungsverfahren sei verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden; der Einigungsvertrag habe unter den gegebenen Umständen die Voraussetzung dafür gebildet, daß die Chance der Wiedervereinigung genutzt werden konnte.

Bundesjustizminister Kinkel und der frühere DDR-Ministerpräsident de Maizière hatten den Artikel 41 des Einigungsvertrags bei der mündlichen Verhandlung im Januar so verteidigt: Ohne eine entsprechende Klausel über die Unantastbarkeit der Eigentumsverhältnisse aus der Besatzungszeit wäre die staatliche Einheit nicht erreichbar gewesen — zumal die Sowjets dies zur festen Vorbedingung für die Zwei-plus-vier- Verhandlungen gemacht hätten.

Die Regelung im nachhinein für ungültig zu erklären, so schrieben die Richter im Dezember, als sie schon eine einstweiige Anordnung der gleichen Kläger abgelehnt hatten, würde nicht nur das internationale Vertrauen in die Verläßlichkeit Deutschlands stören, sondern auch das deutsch-sowjetische Verhältnis trüben. Das Interesse der Sowjetunion sei es gewesen, so der Vorsitzende Richter Roman Herzog bei der gestrigen Urteilsverkündung, daß die Regelungen aus deren Besatzungszeit nicht nachträglich zur Disposition gestellt würden; das Interesse der damaligen DDR, den sozialen Frieden nicht zu gefährden.

Nach der sogenannten “demokratische Bodenreform“, von den durch die sowjetischen Besatzungsmacht eingesetzen Landes- und Provinzialverwaltungen im Herbst 1945 erlassen, wurde der gesamte private Grundbesitz von mehr als 100 Hektar entschädigungslos enteignet. Das zusammen mit dem Vermögen von Kriegsverbrechern und „aktiven Verfechtern der Nazi-Partei“ eingezogene Land wurde später zum Teil über einen Bodenfonds an Kleinbauern verteilt. Einen weiteren Teil — vor allem aus den ebenfalls beschlagnahmten Objekten der Kriegswirtschaft, Schwer- und Bergbauindustrie — nahm die Sowjetunion als Reparationsleistungen in Anspruch.

Inwieweit bei den Enteignungen eine verfassungsrechtliche Verpflichtung zur Wiedergutmachung besteht, ließen die acht Richter offen. Eine unterschiedliche Behandlung gegenüber entschädigungslosen Enteignungen nach 1949, für die der Einigungsvertrag im Grundsatz eine Rückgabe vorsieht, sei dadurch zu rechtfertigen, daß die Bundesregierung auf die ihr gesetzten Bedingungen eingehen mußte, um die Einheit zu erreichen. Aus dem Gleichheitssatz folge jedoch, daß der Gesetzgeber eine Ausgleichsregelung schaffen müsse, weil eine solche auch bei späteren Enteignungen getroffen wurde. Ein Gebot zur vollen Entschädigung lasse sich jedoch nicht ableiten. Die Richter gaben dem Gesetzgeber hier einen „besonders weiten Gestaltungsspielraum“, für den keinerlei Vorgaben gemacht wurden, deuteten aber eine Möglichkeit an: Es könne den Betroffenen die Möglichkeit eingeräumt werden, ihren Besitz zurückzukaufen, wenn dies möglich und von der Interessenlage berechtigt erscheine.

Daran will sich nun, wenn auch widerwillig, die Klägerschar halten, die das Urteil nicht unerwartet traf. Bereits am Donnerstag sollen der CDU-Fraktion im Bundestag Vorschläge unterbreitet werden, wie ein Rückkauf durch die früheren Besitzer erleichtert werden kann. Der Preis, so schwebt einigen der unterlegenen Kläger vor, soll dabei 200 Prozent des damaligen (aus heutiger Sicht lächerlich niedrigen) Grundbuchwerts nicht überschreiten.

Justizminister Klaus Kinkel (FDP) begrüßte sogleich die Entscheidung aus Karlsruhe. Die „Unsicherheiten wegen ungeklärter Eigentumsverhältnisse“ seien damit ausgeräumt, Treuhand und Kommunen sei jetzt „die letzte Bremse weggezogen“ worden. Kinkel kündigte an, rasch die Ausgleichsleistungen zu regeln — allerdings im Rahmen der „gewaltigen finanziellen Last“, die man ohnehin schon durch die Einheit zu tragen habe. Erwin Single, Karlsruhe