„Die Vorwürfe gegen mich waren so absurd“

Im Prozeß gegen Winnie Mandela wegen der Entführung und Mißhandlung mehrerer Jugendlicher im Dezember 1988 sammelt die Anklage Punkte/ Alibi zunehmend erschüttert/ Nach anfänglicher Unterstützung hält sich der ANC zurück  ■ Aus Johannesburg Hans Brandt

Die Zeit der stürmischen Auftritte, der klatschenden Unterstützer ist vorbei. Nur eine Handvoll Schaulustige versammelt sich dieser Tage vor dem obersten Gericht in Johannesburg, um Winnie Mandela auf dem täglichen Weg zum Verhör zu erleben. Der Eingang bleibt abgesperrt — Erinnerung an die Rempeleien zwischen Polizisten und Mandela-Getreuen, die im Februar den Beginn des Verfahrens kennzeichneten. Aber der Schlagabtausch zwischen Staatsgewalt und aufmüpfiger Opposition hat sich jetzt in den Gerichtssaal 4 E verlagert.

Winnie Mandela begann ihr Kreuzverhör letzte Woche in der alten, kämpferischen Tradition. „Ich bin schon oft vor Gericht erschienen“, herrschte sie Staatsanwalt Jan Swanepoel an. „Ich bin immer für nicht schuldig befunden worden.“ Aber der Mann mit der scharfen Nase, der von blonden Haarfransen umringten Glatze, ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. Als Mandela am Montag nach fünf Tagen Kreuzverhör den Zeugenstand verließ, sah ihre Verteidigung nicht mehr felsenfest aus.

Winnie Mandela und zwei Mitangeklagten wird vorgeworfen, im Dezember 1988 vier Jugendliche aus dem Haus eines methodistischen Pfarrers in Soweto entführt und die Jugendlichen im Mandela-Haus schwer mißhandelt zu haben. Zwei der angeblich Entführten sagten aus, Mandela habe sie mit Peitschen und Fäusten geschlagen.

Im Gegenzug wirft Winnie Mandela dem methodistischen Pfarrer, Paul Verryn, vor, die schwarzen Jugendlichen unter seiner Obhut sexuell mißbraucht zu haben. Die vier Jugendlichen seien freiwillig aus dem Pfarrhaus entfernt worden, um homosexuelle Praktiken zu vermeiden. „Die sexuellen Übergriffe von Paul Verryn haben dieses Verfahren verursacht“, meint Mandela — obwohl sie anderswo behauptet, „großen Respekt“ für den Pfarrer zu haben.

Die Verteidigung der Gattin des ANC-Vizepräsidenten Nelson Mandela besteht aus zwei Elementen. Erstens behauptet sie, zur Zeit der angeblichen Entführung nicht in Soweto gewesen zu sein; und zweitens, sie habe mit den vier Jugendlichen nichts zu tun gehabt, da diese sich in Räumen im Hinterhof ihres Hauses aufgehalten hätten — Räume, die sie nur selten betreten habe.

Dieses Alibi wurde zum ersten Mal Mitte letzten Jahres öffentlich bekannt, zwei Jahre nach der Entführung. Warum, fragt Staatsanwalt Swanepoel die Angeklagte, hat sie erst so spät angegeben, daß sie zur Zeit der Entführung in Brandfort war, jenem 300 Kilometer von Johannesburg entfernten Dorf, in das die Regierung sie jahrelang verbannt hatte? Immerhin hätte sie alle Anschuldigungen so von Anfang an leicht aus der Welt schaffen können. In den Wochen nach der Entführung hatten Vertreter eines Krisenkomitees, das Oppositionsgruppen in Soweto zur Befreiung der Entführten gebildet hatten, Mandela aufgesucht; auch Dr. Nthato Motlana, bekannter Arzt und enger Freund der Familie, und Mandela-Anwalt Ismail Ayob sprachen sie auf die Vorwürfe an. Sie gab TV-Interviews, wußte von polizeilichen Untersuchungen — aber niemals erwähnte sie damals ihr Alibi. „Die Vorwürfe gegen mich waren so absurd — ich brauchte kein Alibi“, meint nun Frau Mandela.

Im Kreuzverhör weicht Mandela fast allen Fragen aus, so unwichtig sie auch sein mögen. Sie sitzt zurückgedrängt auf der Zeugenbank, soweit wie möglich vom Staatsanwalt entfernt, die Arme vor dem Körper verschränkt. Ob sie in einem Interview mit dem niederländischen Fernsehen ihr Alibi erwähnt habe, fragt der Staatsanwalt. „Ich habe die Fragen des Jouralisten beantwortet.“ „Aber haben Sie Ihr Alibi genannt?“ „Er hat mich nicht gefragt, wo ich war.“ Und so fünf Minuten weiter, bis endlich das klare „Nein“ kommt. Dabei liegen allen Beteiligten Abschriften des Interviews vor.

Zwischen den Aussagen Mandelas und denen anderer Zeugen entstehen immer neue Widersprüche. Ihr mitangeklagter Fahrer John Morgan behauptet, die Jugendlichen in Mandelas VW-Bus aus dem Pfarrhaus abgeholt zu haben. Sie behauptet, zur selben Zeit mit dem Bus in Brandfort gewesen zu sein. Xoliswa Falati, die andere Mitangeklagte, will ein entscheidendes Gespräch mit dem Anwalt Ayob in Mandelas Gegenwart geführt haben. Das stimme nicht, sagt Mandela. Unterlagen aus einer Arztpraxis zeigen, daß ein angeblich von Verryn vergewaltigter Jugendlicher einen Tag später untersucht wurde, als Mandela behauptet. „Dem widerspreche ich“, meint die Angeklagte.

Wenn der Staatsanwalt hartnäckig weiterfragt, geht ein gereiztes Raunen durch die Publikumsbänke. Hinter drei Reihen Journalisten füllen Mandela-Anhänger den Zuschauerraum. „Der Mann fragt zuviel“, murmelt ein Mann. „Das muß jetzt aufhören.“ Aber die Unerbittlichkeit bringt Ergebnisse: Mandela relativiert Aussagen, die sie in einer zu Beginn des Verfahrens eingereichten Erklärung als Fakten dargestellt hatte. „Das könnte so gewesen sein“, sagt sie jetzt — und stellt damit die gesamte Erklärung in Frage.

Da hilft auch kein Einspruch ihres Verteidigers George Bizos. Der rundliche Bizos, grauhaarig, väterlich, ist einer der bekanntesten Menschenrechtsanwälte des Landes. Er verteidigte schon Nelson Mandela in den fünfziger Jahren. Zeugen fürchten sein Kreuzverhör. Jetzt stützt er nur mehr das Kinn auf die Hand, streicht sich über den Kopf, reibt sich die Augen.

Der Richter, M. S. Stegmann, greift kaum ein. Distanziert, zurückgezogen hinter roter Robe und dunkler Hornbrille, folgt er dem Kreuzverhör, macht eifrig Notizen, schaut ab und zu irritiert ins Publikum, wenn es dort zu unruhig wird.

Der tägliche Vertreter der ANC- Exekutive, der zu Beginn des Verfahrens Solidarität demonstrierte, ist schon seit einiger Zeit verschwunden. Nur Nelson Mandela kommt hin und wieder ins Gericht. Zu sehr hatte der ANC gelitten, als er anfangs das Verfahren als „politische Verfolgung“ darstellte und eine Rücknahme der Anklage forderte. Auch auf die Entführung eines wichtigen Belastungszeugen im Februar hatte der ANC eher zweideutig reagiert. Jetzt will er einfach den Richterspruch abwarten.

Das ist auch die Einstellung der Presse. Nur selten erscheint das Verfahren auf den ersten Seiten. Denn der Prozeß bleibt nach wie vor explosiv. Die ANC-Führung steht hinter Winnie Mandela, auch wenn ihre Anstellung als Leiterin der ANC- Abteilung für Wohlfahrtsfragen auf interne Proteste stieß. Jetzt ist sie im Gespräch als mögliches Mitglied der Exekutive, die im Juni neu gewählt wird. Und am Wochenende findet die erste Konferenz der ANC-Frauenliga statt. Es ist gut möglich, daß Frau Mandela dort noch einen weiteren wichtigen ANC-Posten erhalten wird.