„Ausländer“ in der eigenen grünen Partei?

Auf ihrem Parteitag in Neumünster steht den Grünen nicht nur die Debatte um die eigenen Strukturen ins Haus, sondern auch der innerparteiliche Ost-West-Konflikt/ Beidseitige Vorbehalte und Ressentiments/ Als Lösung die Ost-Quote?  ■ Von Matthias Geis

Lieber vom Wetter, statt von der deutschen Einheit wollten die Grünen im Wahljahr 1990 reden. Immerhin — der Knall, der dieser Ignoranz dann am 2. Dezember folgte, hat das Reformbedürfnis in der Partei beflügelt. Doch was unter dem Titel Strukturreform an diesem Wochenende auf dem Parteitag in Neumünster diskutiert und entschieden wird, läßt sich noch als Altlastensanierung verbuchen. Kompliziert wird das innerparteiliche Reformprojekt jedoch durch neue Probleme, die die Einheit den Grünen aufs Programm gesetzt hat. Der Parteitag muß nicht nur Signale setzen für das Zusammenwachsen der grünen Parteien Ost und West, die seit dem 3. Dezember 90 organisatorisch zusammengehören; er muß auch Weichen stellen für eine Kooperation mit den ostdeutschen Bürgerbewegungen, die — geht es nach dem Willen von Antje Vollmer — in einer „gemeinsamen organisatorischen Perspektive“ münden soll. Denn, so das eher pragmatische Argument des Bundestagsabgeordneten Konrad Weiß, „wer glaubt, Grüne und Bürgerbewegungen könnten bei den nächsten Bundestagswahlen getrennt die Fünf-Prozent-Hürde nehmen, betreibt Augenwischerei“.

Doch vor einer gelungenen Fusion zwischen Grünen und Bürgerbewegungen, die nicht nur den Kriterien des Bundeswahlgesetzes entsprechen sollte, müssen die Grünen in Neumünster erst einmal die Ost- West-Polarisation in der eigenen Partei abfedern. Denn nicht nur der Bundestagsabgeordnete Klaus-Dieter Feige hat mittlerweile mit dem „Zusammenwachsen“ der Grünen seine Probleme. Unter dem Titel „Ausländer in der eigenen Partei“ resümiert er die innerparteiliche Trennung, die mit dem überstürzten Zusammenschluß der Grünen ebensowenig überwunden wurde wie die gesellschaftliche Ost-West-Spaltung durch die staatliche Einheit. Feige beklagt verletzende Versuche von West-Grünen, die bei bestimmten Themen den ostdeutschen Parteifreunden schon mal Zurückhaltung anraten, um die Reinheit jahrelang gehüteter grüner Positionen zu retten. Bestärkt durch solche Erfahrungen und durch das Gefühl, daß die West-Grünen ähnlich ressentimentgeladen auf die Ostler reagieren wie der überwiegende Teil der westlichen Gesellschaft, könnte sich leicht eine innerparteiliche Opposition ganz neuer Art entwickeln: eine Fraktion der Einheitsverlierer, in der DDR-Identität gepflegt und die Alleinvertretung des „kolonisierten Ostens“ beansprucht wird.

Grüne Ost-Quote?

In diesem Sinne fordern grüne Ostler bereits die Ost-Ouote bei der Besetzung der Vorstandsposten in Neumünster, um so die Repräsentanz „authentischer Vertreter“ der fünf neuen Länder zu garantieren. So weit will Klaus-Dieter Feige nicht gehen, doch als bedrückendes Signal empfände er es schon, wenn der Parteitag keinen Ost-Grünen in den Vorstand schickte. Feige bewirbt sich jetzt selbst um einen Sprecherposten, ebenso wie die Ost-Grüne Christine Weiske, die bereits seit der Fusion als Beisitzerin im gesamtgrünen Vorstand vertreten ist.

Daß es nicht gelungen ist, sich untereinander auf eine gemeinsame Kandidatin zu verständigen, deutet an, daß es auch bei den Ost-Grünen — trotz gemeinsamer Erfahrungen, Unbehagen in der „West-Partei“ und Unverständnis für den west-grünen Flügelstreit — nicht ohne Vorbehalte abgeht. Vera Wollenberger zum Beispiel, dritte Ost-Kandidatin, die sich als Trio mit Antje Vollmer und Hubert Kleinert präsentiert, wird mangelnder Rückhalt in der grünen Basis nachgesagt. Vor allem ihre Affinität zum Bündnis 90 ist bornierteren VertreterInnen der Ost-Grünen ein Dorn im Auge. Wollenbergers biographische Nähe zur alten DDR-Opposition, die sich im Herbst 89 in den Bürgerbewegungen und nicht bei den Ost-Grünen organisierte, gilt wiederum Vertretern des grünen „Aufbruchs“ und der Realpolitiker innerhalb der West-Grünen als erwünschtes Signal für eine künftige Kooperation mit den Bürgerbewegungen.

Auch Ost-Ost-Konflikt

Auch die Ressentiments zwischen Ost-Grünen und Bürgerbewegungen beruhen auf Gegenseitigkeit. Der Bürgerrechtler Konrad Weiß etwa bezeichnet die Ost-Grünen, die mehrheitlich aus der Ökologie- und Naturschutzbewegung der ehemaligen DDR kommen und beim Umbruch im Herbst 89 keine Rolle spielten, schon mal als „versprengtes Häuflein ehemaliger FDJler“. Den ökologischen Ansatz allein hält Weiß für „zu schmal“.

Wie Weiß sehen viele ehemalige DDR-Oppositionelle, darunter Wolfgang Ullmann, Gerd Poppe oder Wolfgang Templin, die Profilierung der Grünen als Bürgerrechtspartei als notwendige Voraussetzung einer gemeinsamen Perspektive. Die meisten prominenteren Bürgerrechtler haben aus ihren realsozialistischen Oppositionserfahrungen klare Konsequenzen gezogen: die Tendenz geht weg von der Lagermentalität; sozialistische Gesellschaftsutopien sind passé; die Grünen müssen zusammen mit den Bürgerbewegungen als politische Formation „quer zu den Parteien“ agieren — ein Vorhaben, mit dem sich etwa Konrad Weiß schnell das Stigma des „Reaktionärs“ eingehandelt hat.

Der Sympathie namhafter Bündnispolitikerinnen für das Projekt einer „ökologischen Bürgerrechtspartei“ kann sich Antje Vollmer sicher sein. Deshalb hätten es die grünen Reformer gerne gesehen, wenn ein profilierter Bündnispolitiker in den grünen Vorstand gewählt worden wäre. Doch Versuche, etwa das Gründungsmitglied des Neuen Forums, Jens Reich, zur Kandidatur zu bewegen, scheiterten.

Eine solche Kandidatur hätte allerdings nicht nur die Grünen vor kompliziertere Satzungsprobleme gestellt, sondern auch den Einigungsprozeß der bislang selbständigen Bürgerbewegungen untereinander erschwert. Der aber soll, so der allgemeine Konsens, vor einem Zusammenschluß mit den Grünen stattfinden. Auch das wird nicht einfach sein. Umstritten ist — quer durch die einzelnen Gruppierungen — nicht nur das Konzept einer Bürgerrechtspartei, sondern nach wie vor auch die politische Organisationsform Partei. Während etwa Templin die Strukturreform der Grünen und ihren „Abschied von der Antipartei“ als Voraussetzung für die Kooperation mit dem Bündnis 90 versteht, kritisiert die Bundestagsabgeordnete Ingrid Köppe (Neues Forum) die Strukturreform als organisatorische „Angleichung der Grünen an die etablierten Parteien“: eine „Hürde für das Zusammengehen“. Die Abkehr von „radikaloppositionellen“ Vorstellungen hin zu „ein bißchen mehr Mitbestimmung“ wertet sie als Versuch, die Grünen zu „vereinheitlichen“. Andere Vorschläge zur Beilegung des grünen Flügelstreits entwickelt Gerd Poppe. Er würde es befürworten, wenn es eine traditionelle linke Kraft gäbe; „produktiv“ könnte sich auch Templin die Auseinandersetzung vorstellen — „aber nicht innerhalb der Partei“. Poppe und Templin fordern eine Trennung vom fundamentalistischen Flügel der Grünen. In Neumünster — so läßt sich unschwer prognostizieren — wird der alte Flügelstreit auf jeden Fall noch einmal aufleben. Ob am Ende die Trennung steht, bleibt abzuwarten.