ZWISCHEN DEN RILLEN

■ Weisser Soul und schwarze Traditionen

Soul — das ist schwärzeste Musik, oder? Ein Mix aus Blues und Gospel und Trouble und Black Power, zusammengebraut in den Sechzigern. Richtig: Soul ist schwarze Musik, so tiefschwarz, daß der Anteil weißer Musiker und Songwriter an den besten Aufnahmen des Genres leicht vergessen wird (nicht der der weißen Produzenten!). Denn gerade die rauhe, nackte, „südliche“ Version des Stils (assoziiert mit der New Yorker Plattenfirma Atlantic als Gegensatz zum geglätteten Detroiter Motown-Sound) hat weißen Komponisten, Textern und Session-Musikern einiges zu verdanken.

Aretha Franklin, Otis Redding, Wilson Picket, Joe Tex und Percy Sledge: die Stars fuhren nach Memphis oder Muscle Shoals in die kleinen Studios mit den einheimischen Rhythmusgruppen, die dort für ein paar Jahre magischen Sound produzierten; Jungs aus dem ländlichen Süden, aus armen weißen Familien, aufgewachsen mit dem Blues, den schwarzen Radioprogrammen, den schwarzen und weißen Erweckungskirchen, den saturday night-dances und dem Rockabilly aus den Sun-Studios. „Weiße Musiker brachten einen Country&Western-Background, ein Mittelklasse-Pflichtbewußtsein und das Herz eines Rock'n' Rollers in die Musik ein. Mit letzterem ist nicht so sehr eine musikalische Qualität gemeint als ein Gefühl von Unzufriedenheit damit, wo sie lebten und wie sie lebten“, schreibt Peter Guralnick in seinem Standardwerk Sweet Soul Music.

Die kleinen Bands waren gemischt oder weiß. Einige wurden selbst Stars wie Booker T.&The M.G.'s, andere blieben in der Anonymität der Studios und Musikerzirkel, hochgeschätzt von den Soul-Heroen und den Plattenproduzenten.

Eddie Hinton war einer dieser Studioleute: Songwriter, Sessionmusiker und Sänger. Guralnick erwähnt ihn in einem Nebensatz: „Der letzte der großen weißen Soul-Sänger.“ Eddie war oben, als Soul oben war, und war out, als Soul out war. Ein erstes Soloalbum 1978 änderte daran nichts.

Die Entdeckung Eddie Hintons lohnt. Von den ersten Takten seiner neuen Platte Cry and Moan an sind die Ingredienzien des klassischen Soul präsent: das zitternde Gitarrenvibrato, die schummrige Hammondorgel. Die sparsamen Bläsersätze sind noch weiter abgemagert, der Rhythmus ist (leider) ein wenig zu konturlos und rockig-flüssig und nicht hart, fast eckig, aber hypnotisch wie bei den besten Vorbildern. Hintons Stimme ist einen Hauch weniger rauh und versoffen als die von Joe Cocker, einen Hauch weniger ausdrucksvoll und nuanciert als die von Otis Redding. Seine Musik ist kein Aufguß, sondern die Essenz solider Soul-Tradition, mit einem Schuß southern rock.

Die Avantgarde aus Brooklyn hält Rückschau. Die Musiker der M-Base, Inbegriff des selbstbewußten Mischens zeitgenössischer schwarzer Musikstile auf Jazzbasis, widmen sich der Tradition; ganz ausdrücklich und nicht nur als Einfluß im Neuen spürbar. Sie tun es mit unterschiedlichem Erfolg; Cassandra Wilson mit dem Album She who Weeps schon zum zweiten Mal in ihrer kurzen Karriere. Ihre prägnante Altstimme und ihr intelligentes Songverständnis gestalten Balladen wie Body and Soul und bluesbeeinflußte Eigenkompositionen einfühlsam. Die ziemlich oberflächliche Triobegleitung jedoch verwischt viele Eindrücke wieder, anstatt sie zu verstärken oder die Sängerin herauszufordern.

Der Posaunist Robin Eubanks ist dem Bop verhaftet. Das ist gleich im Anreißer- und Titelstück Karma zu hören, einem rhythmischen Rap mit kurzen, ineinander verwobenen Soli, das ist auch zu hören im afro-karibischen Duett mit dem Percussionisten Mino Cinelu. „Vielfalt ist mein Konzept“, sagt Eubanks über Karma. Vielfalt: Das ist das Konzept des Gemischtwarenladens und des Spezialitätengeschäfts gleichermaßen. Eubanks entscheidet sich für den musikalischen Gemischtwarenladen: mal ein Sonderangebot für den harten M-Base-Freak, dann wieder ein Dreierpack Schnulzen, in denen er „seine Schwäche für Schmalziges auslebt“, wie der Pressetext entwaffnend offen formuliert. Zwischendrin gibt's Qualitätsware: eine unprätentiöse Reverenz an Thelonious Monk (Evidently) und das schroffe, rhythmisch komplexe Pentacourse, in dem Eubanks variationsreich auch die E-Posaune bläst. Beides sind Trioaufnahmen mit Dave Holland und dem Drummer „Smitty“ Smith. Hardbop pur bietet am Ende der CD eine atmosphärisch dichte Sextett-Hommage an Eubanks' Ex-Boß Art Blakey, der Branford Marsalis Glanzlichter aufsetzt.

Der Tenorsaxophonist Gary Thomas nimmt die Tradition Sonny Rollins' auf; im trockenen, knarzenden Ton, in mancher Phrasierung und in der Art, wie er an die Titel seiner neuen Produktion herangeht. Er zerlegt die Standards und will sie neu zusammensetzen, einerseits überraschende Aspekte der Komposition aufzeigen, andererseits der eigenen Improvisation neue Anregungen gewinnen. Thomas fehlt dabei allerdings die Meisterschaft Rollins'. Manchmal sind die Balladen nur der Vorwurf für Soli, die er ähnlich über x-beliebige Themen spielen könnte, ein andermal flüchtet er, der sonst Improvisationen bewußt aufzubauen versteht, in endlose Läufe. Er zertrümmert Motive, nicht überlegt, sondern verlegen. Das ganze Album-Konzept scheint ein Mißverständnis zu sein.

Aber Thomas wird selten langweilig, bleibt anregend im Scheitern; ärgert, wenn man die verpaßten Möglichkeiten zu hören meint und macht Spaß in den halben Erfolgen: in Strayhorns Chelsea Bridge, das sich bemerkenswert unangestrengt und schön entwickelt, oder in On the Trail von Ferdinand Grofé und Jerome Kerns The Song Is you.

Eddie Hinton: „Cry and Moan“,

Zensor/Bullseye NET CD 9504

Cassandra Wilson: „She who Weeps“,

JMT 834 443-2

Robin Eubanks: „Karma“, JMT 843 446-2

Gary Thomas: „While the Gate Is Open“,

JMT 834 439-2

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